Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachentscheidung statt Verwerfungsurteil nach § 74 II OWiG
Leitsatz (amtlich)
1. Bleibt der von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht nach § 73 II OWiG entbundene Betroffene in dieser ohne genügende Entschuldigung aus, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache auch dann zwingend durch Urteil nach § 74 II OWiG zu verwerfen, wenn in demselben Verfahren schon einmal ein (erstes) Verwerfungsurteil durch das Rechtsbeschwerdegericht aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen worden war (u.a. Anschluss an BGH, Beschluss vom 18.07.2012 - 4 StR 603/11 [bei [...]] = DAR 2012, 590 ff.).
2. Eine anstelle eines nach § 74 II OWiG gebotenen Verwerfungsurteils erlassene Sachentscheidung verletzt das Anwesenheitsrecht des Betroffenen aus den §§ 230 I, 338 Nr. 5 StPO i.V.m. §§ 71 I, 73 I OWiG.
Normenkette
StPO § 230 Abs. 1, § 338 Nr. 5; OWiG § 71 Abs. 1; StPO § 73 Abs. 2, § 74 Abs. 2
Tatbestand
Das AG hat den Betr. am 05.07.2012 wegen verbotenen Überholens zu einer Geldbuße verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes außerhalb eines Regelfall i.S.v. § 25 I 1 2. Alt. StVG verhängt. Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betr. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel erwies sich als erfolgreich.
Entscheidungsgründe
Die statthafte (§ 79 I 1 Nr. 2 OWiG) sowie frist- und formgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde erweist sich mit der noch hinreichend ausgeführten Verfahrensrüge der Verletzung des Anwesenheitsrechts des Betr. gemäß §§ 230 I, 338 Nr. 5 StPO i.V.m. §§ 71 I, 73 I OWiG als begründet, weshalb es eines Eingehens auf die von der Verteidigung spezifisch ausgeführten Verfahrensrügen und die Sachrüge nicht mehr bedarf. Ausweislich des von der Rechtsbeschwerde mitgeteilten und überdies durch die Urteilsgründe bestätigten Verhandlungsprotokolls fand die (neuerliche) Hauptverhandlung mit Durchführung der Beweisaufnahme und Verkündung des angefochtenen Urteils in Abwesenheit des Betr. und seines Verteidigers statt, obwohl der ordnungsgemäß zum Termin geladene Betr. der Hauptverhandlung unentschuldigt ferngeblieben, insbesondere von seiner Anwesenheitspflicht nicht entbunden worden war. Sein Einspruch wäre demgemäß vom AG unbeschadet der in demselben Verfahren schon einmal auf Rechtsbeschwerde des Betr. erfolgten Aufhebung des Verwerfungsurteils vom 13.10.2011 durch Senatsbeschluss vom 16.02.2012 und unabhängig von einer mit der Verteidigung erfolgten Terminsabsprache zwingend nach § 74 II OWiG ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen gewesen (vgl. zuletzt neben OLG Celle, Beschluss vom 14.11.2011 - 311 SsBs 152/11 [bei [...]] = NZV 2012, 44 f. = VRS 122, 153 ff. = DAR 2012, 270 f. insbesondere BGH, Beschluss vom 18.07.2012 - 4 StR 603/11 [bei [...]] = DAR 2012, 590 ff.). Durch die gleichwohl getroffene Sachentscheidung hat das AG gegen das Anwesenheitsrecht des Betr. verstoßen (vgl. hierzu u.a. OLG Bamberg, Beschluss vom 30.03.2012 - 3 Ss OWi 360/12 [bei [...]] = DAR 2012, 393 [Ls] = VRR 2012, 276 f. m.w.N.). Der absolute Rechtsbeschwerdegrund führt zur Urteilsaufhebung (§ 79 III 1 OWiG, § 353 StPO) und Zurückverweisung der Sache an das AG.
Fundstellen
Haufe-Index 3512884 |
NStZ-RR 2013, 188 |
NStZ-RR 2013, 6 |
NZV 2013, 462 |
VRR 2013, 3 |