Normenkette

BGB § 847

 

Verfahrensgang

LG Coburg (Aktenzeichen 21 O 505/99)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Teil- und Grundurteil des LG Coburg vom 30.5.2001 in Ziff. 1 abgeändert.

II. Der Beklagte bleibt verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 250.000 DM zu bezahlen. Im Übrigen wird die Schmerzensgeldklage abgewiesen.

III. Die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

IV. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

VI. Die Beschwer beider Parteien beträgt jeweils 50.000 DM.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird in Anwendung des § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

 

Gründe

I. Die (beschränkte) Berufung des Beklagten gegen das Teil- und Grundurteil des LG Coburg vom 30.5.2001 ist zulässig (§§ 511 ff. ZPO). Sie hat in der Sache teilweise Erfolg. Der Senat bemisst die Höhe des vom Beklagten an den Kläger zu zahlenden Schmerzensgeldes aus der ärztlichen Fehlbehandlung vom Juni 1997 auf 250.000 DM und weist die Schmerzensgeldklage i.Ü. ab.

II. Was die Schilderung der Folgen der ärztlichen Fehlbehandlung in Form des Diagnosefehlers (Krankenhaus- und Rehaaufenthalt sowie Form, Umfang und Grad des lebenszeitlichen Behinderung des Klägers) anbelangt, wird zunächst zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf den Tatbestand (S. 3–4) und die Entscheidungsgründe (S. 10–11) des Ersturteils des LG Coburg Bezug genommen (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Trotz der enormen Leiden und des Grades bleibender Behinderung des Klägers, hält der Senat i.E. seiner Ermessensabwägung nach § 847 BGB i.V.m. § 287 ZPO ein Schmerzensgeld i.H.v. 250.000 DM für erforderlich, notwendig und angemessen und setzt damit den vom LG ausgeurteilten Schmerzensgeldbetrag um 50.000 DM herab.

Dabei hat der Senat den Umfang der klägerischen Beschwerden und die Dauer seiner stationären Aufenthalte ebenso berücksichtigt wie die Schwere und den Grad der lebenslang verbleibenden Behinderung. Auch die Tatsache rechtskräftig festgestellten groben Verschuldens des Beklagten beim Diagnoseirrtum und das zögerliche Regulierungsverhalten der Beklagtenseite wurden beachtet. Dem Senat ist auch die kontinuierliche Aufwärtsentwicklung gerichtlich zuerkannter Schmerzensgeldbeträge in Deutschland nicht verborgen geblieben; ebenso ist der schleichenden Geldentwertung durch Inflation und Steigerung der Lebenshaltungskosten Rechnung zu tragen, wenn Vergleiche zu älteren Entscheidungen dieses oder anderer Gerichte gezogen werden.

Gleichwohl ist der Senat davon überzeugt, dass ein Schmerzensgeldbetrag von 250.000 DM dem hier zu entscheidenden Fall der Höhe nach gerecht wird. Höhere Schmerzensgeldbeträge sind in Deutschland in vergleichbaren Fällen – soweit erkennbar – nicht ausgeurteilt worden. Beträge über 250.000 DM sind bislang in vergleichbaren Fällen lediglich bei vollständigen Querschnittslähmungen mit Harn- und Darminkontinenz und/oder Impotenz, schweren Gehirnschäden mit vollständiger Tetraparese (Lähmung aller Extremitäten) oder Schädel-, Hirn-Traumata mit Querschnittslähmung und Hirnschädigung oder apallischen Syndromen zuerkannt worden (vgl. die Ziff. 2667–2685 der Schmerzensgeldtabelle von Hacks/Ring/Böhm, ADAC-Verlag mit den dort zugrunde liegenden Entscheidungen und Slizyk, Beck'sche Schmerzensgeldtabelle, 3. Aufl., 254–265 m.w.N.).

Der hier vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich davon jedoch in entscheidenden Punkten:

Beim Kläger liegt keine hirnorganische Störung vor, er kann vernünftige Gedanken fassen und sich normal artikulieren.

Der Kläger hat zwar eine Tetraspastik und eine Polyneuropathie, er kann sich jedoch gleichwohl aus eigener Kraft mittels einer Gehhilfe (Gehwagen) über kürzere Strecken selbst fortbewegen, in Begleitung auch über mehr als wenige Meter innerhalb der Wohnung.

Er kann – wovon sich der Senat in der Sitzung vom 10.12.2001 vergewissern konnte – seine Arme relativ frei bewegen und diese Bewegungen zielgerichtet koordinieren.

Er hat Willkürkontrolle über seine Blasen- und Darmentleerungsfunktionen; auch die Sexualfunktion ist erhalten geblieben.

Die epileptischen Anfälle können zur Zeit medikamentös beherrscht werden.

Damit ist zwar der Kläger auf Lebenszeit auf fremde Hilfe und erhebliche Mengen verschiedenster Medikamente angewiesen, leidet nach wie vor unter erheblichen Schmerzzuständen und kann seine Körperfunktionen nur eingeschränkt nutzen. Er hat aber nicht die gravierenden und totalen, irreversiblen Ausfälle des Gehirns, der Bewegungs- und Fortbewegungsmöglichkeit und der Blasen- und Darmentleerungsfunktionen, wie dies in den genannten Vergleichsfällen anderer Gerichte der Fall war, in denen Schmerzensgeldbeträge von über 250.000 DM ausgeurteilt wurden.

Der Senat betont ausdrücklich, die Tragik des klägerischen Schicksals angesichts seines Alters und die Schwere seines Leidensweges nicht zu verkennen, sieht sich jedoch aus Rechtsgründen gehindert, ein höheres Schmerzensgeld als 250.000 DM zuzusprechen, um den Ausgleichs- und Genugtuungsgedanken des § 847 Abs. 1...

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