Leitsatz (amtlich)
1. Auch dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ("Umschaltlogik") ausgestatteten Neufahrzeugs steht, nachdem seine deliktische Schadensersatzforderung nach § 826 BGB gegen den Fahrzeughersteller verjährt ist, kein Herausgabeanspruch aus § 852 Satz 1 BGB gegen die Herstellerseite zu (Anschluss an OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.05.2021, 5 U 57/20, Rn. 56; OLG Oldenburg, Beschluss vom 05.01.2021, 2 U 168/20, BeckRS 2021, 1641 Rn. 17 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 25.06.2021, 15 U 19/21, bisher unveröffentlicht, sowie OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.01.2021, 19 U 170/21, Rn. 17; entgegen OLG Koblenz, Urteil vom 29.07.2021, 6 U 934/20, juris Rn. 57; Urteil vom 31.03.2021, 7 U 1602/20, juris Rn. 46; OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.07.2021, 13 U 168/21, juris Rn. 73; OLG Stuttgart, Urteil vom 12.05.2021, 9 U 17/21, juris Rn. 61, juris; Urteil vom 09.03.2021, 10 U 339/20, juris Rn. 36; OLG Hamm, Urteil vom 03.05.2021, 17 U 196/20, juris Rn. 4; OLG Oldenburg, Urteil vom 22.04.2021, 14 U 225/20, juris Rn. 42; Urteil vom 02.03.2021, 12 U 161/20, BeckRS 2021, 3326 Rn. 33; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.04.2021, 23 U 143/20, juris Rn. 28 und OLG München, Urteil vom 26.07.2021 - 3 U 1705/21, Rn. 39ff.).
2. Das Regelungsziel des § 852 Satz 1 BGB, dass ein deliktischer Schädiger auch nach dem Verjährungseintritt nicht im Genuss des unrechtmäßig erlangten Tatvorteils bleiben soll (BGH NJW 1978, 1377 Rn. 62), ist zugleich Ausdruck eines Schutzgedankens, der auf exemplarische Sachverhalte einer signifikant erschwerten Anspruchsdurchsetzung ausgelegt ist und damit zugleich den Anwendungsbereich der Vorschrift im Sinn einer Ausnahmeregelung begrenzt.
Dieser Normzweck passt offenkundig nicht auf den typischen Rahmensachverhalt eines sog. Dieselskandalfalls, bei dem der Käufer ein nach dem Maßstab der Vertragsäquivalenz an sich voll funktionstüchtiges Fahrzeug erworben hat.
3. In Einklang damit setzt der Tatbestand des § 852 Satz 1 BGB nicht nur einen iSd § 826 BGB ersatzfähigen Schaden, sondern zudem eine dem Schadenseinschlag entsprechende Bereicherung auf Seiten des Anspruchsgegners - hier also des Herstellers - voraus. Daran fehlt es von vornherein, wenn der reklamierte Schadenseinschlag wie hier keinen messbaren wirtschaftlichen Vermögensnachteil, sondern lediglich einen normativen Schaden darstellt (Anschluss an OLG Oldenburg, Beschluss vom 05.01.2021, 2 U 168/20, BeckRS 2021, 1641 Rn. 17 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 25.06.2021, 15 U 19/21, bisher unveröffentlicht).
4. Hat bereits in einem Bußgeldverfahren gegen den verklagten Herstellerkonzern eine Gewinnabschöpfung in erheblichem Umfang (hier in Höhe von 995.000.000,00 Euro) stattgefunden, so sind die Auswirkungen und die Tragweite einer solchen Geldbuße bei der durch den Schutzzweck gebotenen Prüfung der klägerischen Anspruchsberechtigung nach Zumutbarkeitskriterien ebenfalls mitzuberücksichtigen.
5. Unabhängig vom teleologisch reduzierten Anwendungsbereich des § 852 S.1 BGB ist der Anspruchsumfang bei einem Neuwagenverkauf ohnehin auf den sog. Herstellergewinn - also den um die Produktions-, Herstellungs- und Lieferkosten sowie die Händlermarge gekürzten Betrag des Netto-Verkaufspreises - begrenzt (Anschluss insoweit an OLG Stuttgart, Urteil vom 12.05.2021, 9 U 17/21, dort Rn. 70ff. und OLG Frankfurt a.a.O., Rn. 16 sowie Fortführung von BGHZ 221, 342 Rn. 26; entgegen OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.07.2021, 13 U 168/21, juris Rn. 78ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 09.03.2021, 10 U 339/20, juris Rn. 62ff; und OLG München a.a.O. Rn. 51ff.).
Auch dazu hat die klagende Käuferseite schlüssig vorzutragen.
Normenkette
BGB § 852 S. 1
Verfahrensgang
LG Schweinfurt (Urteil vom 28.06.2021; Aktenzeichen 23 O 679/20) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 28.06.2021 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil des Landgerichts Schweinfurt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Das Senatsurteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Senatsurteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
3. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen, soweit der Rechtsstreit die Frage aufwirft, ob der Klägerin, nachdem ihre deliktische Schadensersatzforderung aus §§ 826, 31 BGB verjährt ist, als Käuferin eines von der Beklagten hergestellten und in der Motorsteuerung mit einer "Umschaltlogik" ausgestatteten Neufahrzeugs ein Herausgabeanspruch nach § 852 Satz 1 BGB zustehen kann.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
1. Die Klägerin erwarb am 21.09.2012 von einem Autohaus einen Neuwagen der Marke XXX, Typ Xxx zum Kaufpreis von 23.600,00 EUR (Anlage K 1). Am 2...