Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Anrechnung erbrachter Leistungen auf Zahlungsauflagen bei Widerruf der Strafaussetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Im Regelfall kann der Umfang einer Anrechnung erbrachter Leistungen auf Zahlungsauflagen nach § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB bei einem Widerruf der Strafaussetzung dadurch bestimmt werden, dass die erbrachten Zahlungen in ein Äquivalent erbrachter gemeinnütziger Arbeit umgerechnet werden und im zweiten Schritt dann der Umfang der so ermittelten fiktiven gemeinnützigen Arbeit unter Berücksichtigung des in § 5 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung über die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit genannten Maßstabes (sechs Stunden freie Arbeit entsprechen einem Tag Freiheitsstrafe) zur Festlegung des Umfangs der Anrechnung herangezogen wird.
2. Im Rahmen der danach zunächst grundsätzlich erforderlichen Umrechnung der erbrachten Zahlungen in ein Äquivalent gemeinnütziger Arbeit ist es regelmäßig geboten, den zum Zeitpunkt der Entscheidung nach § 1 Abs. 2 MiLoG in Verbindung mit der jeweiligen Rechtsverordnung der Bundesregierung geltenden Mindestlohn in Ansatz zu bringen.
Normenkette
StGB § 56b Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 2, § 56f Abs. 3 S. 2; ErsFrhStrAbwV ND § 5 Abs. 1 S. 1; MiLoG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Göttingen (Entscheidung vom 30.06.2021; Aktenzeichen 55 StVK 143/21 - 55 BRs 37/21) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom 30. Juni 2021 wird auf seine Kosten mit der Maßgabe verworfen, dass Leistungen, die der Verurteilte zur Erfüllung der Bewährungsauflage erbracht hat, mit 84 Tagen auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe angerechnet werden.
Gründe
I.
Gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden auch: den Verurteilten) wurde durch seit dem 8. März 2017 rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 12. Mai 2016 wegen (unerlaubten) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Dem Verurteilten wurde - ungeachtet der Dauer der Bewährungszeit - die Auflage gemacht, einen Geldbetrag von 5.000,00 € in monatlichen Raten von 100,00 € an die Landeskasse zu zahlen.
In der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 2019 verschafften sich der Verurteilte und zwei Mittäter durch das Aufhebeln eines Kellerfensters Zutritt zu einer Schule, durchsuchten das Gebäude nach aus ihrer Sicht stehlenswerten Gegenständen und nahmen letztlich 176,90 € Bargeld, einen Beamer, eine Fernbedienung und vier Mikrophone an sich. Insbesondere durch das Aufbrechen diverser Schränke und Türen verursachten sie einen Sachschaden von mehr als 13.500,00 €. Der Beschwerdeführer wurde deshalb durch Urteil des Amtsgerichts Duderstadt vom 19. März 2020 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Göttingen vom 2. November 2020 und mit dem Beschluss des Senats vom 17. Februar 2021 wegen Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Strafe wird seit dem 20. April 2021 in der Justizvollzugsanstalt R vollstreckt.
Im Zeitraum von Juni 2017 bis Juni 2021 zahlte der Verurteilte insgesamt 4.800,00 € auf die Bewährungsauflage.
Der Verurteilte wurde nach Ablauf der Bewährungszeit im vorliegenden Verfahren nicht darauf hingewiesen, dass ein Erlass der Strafe im Hinblick auf das seinerzeit bei dem Amtsgericht Duderstadt anhängige Strafverfahren noch nicht in Betracht komme. Das Widerrufsverfahren wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft Göttingen vom 12. April 2021 seit diesem Zeitpunkt betrieben, wovon der Verurteilte durch ein Anhörungsschreiben des Amtsgerichts Göttingen vom 15. April 2021 Kenntnis erlangte. Der Verurteilte wurde ferner am 31. Mai 2021 mündlich und in der Folge - nach der Übernahme des Verfahrens durch die Strafvollstreckungskammer - erneut schriftlich zur Frage des Widerrufs der Strafaussetzung angehört.
Mit dem angefochtenen Beschluss, der dem Verteidiger des Verurteilten am 5. Juli 2021 zugestellt worden ist, hat das Landgericht Göttingen die Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung der Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 12. Mai 2016 widerrufen. Mit am 6. Juli 2021 bei dem Landgericht Göttingen eingegangenem Schreiben hat der Verurteilte erklärt, dass er das Gericht "noch einmal bitten" wolle, dass er "nicht noch mehr Strafe erhalte". Der Verteidiger des Verurteilten hat für diesen mit am 12. Juli 2021 bei dem Landgericht Göttingen eingegangenem Schreiben (erneut) sofortige Beschwerde erhoben, die er mit Schriftsatz vom 5. August 2021 begründet hat. Er hat insbesondere darauf hingewiesen, dass sich der Verurteilte erstmals in Haft befinde.
Mit Zuschrift vom 16. August 2021 hat die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig beantragt, die sofortige Beschwe...