Entscheidungsstichwort (Thema)
Funktionelle Zuständigkeit des Nachlassrichters in streitigen Erbscheinsangelegenheiten
Leitsatz (amtlich)
1. In Niedersachsen ist in Erbscheinssachen der bundesrechtliche Richtervorbehalt des § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG nicht anwendbar (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 RPflG, § 1 Nr. 7 Nds. Subdelegationsverordnung-Justiz, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Nds. ZustVO-Justiz).
2. Werden gegen die Erteilung des beantragten Erbscheins Einwände erhoben, hat der Rechtspfleger das Verfahren nach dem landesrechtlichen Richtervorbehalt des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nds. ZustVO-Justiz dem Nachlassrichter zur weiteren Bearbeitung vorzulegen.
3. Eine (Rück-)Übertragungsmöglichkeit auf den Rechtspfleger enthält § 14 Nds. ZustVO-Justiz nicht; § 16 Abs. 3 RPflG ist auf den landesrechtlichen Richtervorbehalt nicht anwendbar.
4. Hat statt des zuständigen Richters der unzuständige Rechtspfleger entschieden, ist die Sache - unabhängig von ihrer etwaigen inhaltlichen Richtigkeit - vom Beschwerdegericht aufzuheben, an das Nachlassgericht zurückzuverweisen und zugleich dem Richter vorzulegen (Anschluss an BGH, Beschluss vom 2. Juni 2005 - IX ZB 287/03 -, NJW-RR 2005, S. 1299).
Normenkette
FamFG § 70 Abs. 2 S. 1, §§ 81, 342 Abs. 1 Nr. 6, § 352e; GNotKG § 61 Abs. 1 S. 1; JusGerZustV ND § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, S. 2, § 14; RPflErmÜtrV ND 2007 § 1 Nr. 7; RPflG § 3 Nr. 2 Buchst. c, § 16 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerde vom 20. Mai 2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Wolfenbüttel - Nachlassgericht - vom 12. Mai 2020 - 7 VI 55/20 - aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - durch den zuständigen Nachlassrichter - an das Amtsgericht Wolfenbüttel zurückverwiesen.
Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Wert des Beschwerdegegenstands wird festgesetzt auf 200.000,00 EUR
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt einen Erbschein auf Basis gesetzlicher Erbfolge, da die Erblasserin beim Abfassen eines privatschriftlichen Testaments nicht testierfähig gewesen sei; die Beteiligten zu 2. und 3. sind dem entgegengetreten. Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag durch den Rechtspfleger beschieden.
1. Die Beteiligten sind die drei Abkömmlinge der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes.
Mit notariell beurkundetem Testament vom 21. September 2007 (Bl. 8-12 d.A.) setzte der Ehemann der Erblasserin diese zu seiner alleinigen und befreiten Vorerbin ein sowie die Antragstellerin und den Beteiligten zu 3. zu seinen Nacherben. Zur Abgeltung der Erbansprüche des Beteiligten zu 2. setzte er Vermächtnisse aus (Übertragung von Immobilieneigentum). Das Testament enthält eine Teilungsanordnung betreffend die Nacherben (weiteres Immobilieneigentum). Es ist Gegenstand des Erbscheinsverfahrens nach dem Ehemann der Erblasserin (Amtsgericht Wolfenbüttel - 7 VI 54/20 -).
Mit notariell beurkundetem "Übertragungsvertrag und Schenkung" (Bl. 11-18 der BA 7 IV 319/20) vereinbarten die Erblasserin und die hiesigen Beteiligten zu 1. bis 3., die im Testament des Ehemannes enthaltene Teilungsanordnung abzuändern. Die Erblasserin übertrug eine Eigentumswohnung ("Nr. 5"), die nach der Teilungsanordnung der Antragstellerin zugeordnet war, und eine weitere Eigentumswohnung ("Nr. 4") an den hiesigen Beteiligten zu 2.; ferner übertrug sie eine Eigentumswohnung ("Nr. 6"), die nach der Teilungsanordnung dem Beteiligten zu 2. zugeordnet war, an die Antragstellerin.
Mit privatschriftlichem Testament vom 3. Januar 2018 - eröffnet am 11. November 2019 (Bl. 4 f d. BA 7 IV 319/20) - verfügte die Erblasserin, dass der Beteiligte zu 2. nach ihrem Tode zwei bestimmte Hausgrundstück bekommen solle, dass die Antragstellerin drei Eigentumswohnungen ("1. OG links u. 1. OG rechts sowie die Whg. im Dachgeschoss") bekommen solle, und dass der Beteiligte zu 3. ein bestimmtes Hausgrundstück bekommen solle; evtl. noch vorhandenes Barvermögen solle nach Abzug der Kosten zu gleichen Teilen unter den Beteiligten zu 2. und 3. aufgeteilt werden.
Die Antragstellerin beantragte einen Erbschein basierend auf der gesetzlichen Erbfolge, da die Erblasserin beim Abfassen des privatschriftlichen Testaments vom 3. Januar 2018 testierunfähig gewesen sei. Dazu hat sie zwei ärztliche Atteste und einen Arztbericht vom 15. März 2018, 30. April 2018 und 16. Dezember 2019 (Bl. 25, 26 f. und 28 d.A.) vorgelegt.
Dem sind die Beteiligten zu 2. und 3. mit ihren Schreiben vom 28. Januar 2020 (Bl. 39 und 40 d.A.) jeweils entgegengetreten. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20. Februar 2020 (nur zur Akte 7 VI 54/20 genommen, dort Bl. 40 f.) führte der Beteiligte zu 2. aus, bei dem privatschriftlichen Testament handele es sich nur um eine Auseinandersetzungsanordnung; der Erteilung eines Erbscheins, der die drei Abkömmling als Miterben zu je einem Drittel ausweise, trete er nicht entgegen.
2. Das Nachlassgericht hat mit angefochtenen Beschluss des Rechtspflegers vom 12. Mai 2020 die für die Erteilu...