Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzungsbeschluss unter Bezugnahme auf EuGH-Vorlage eines fremden Verfahrens: Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde und beschränkter Prüfungsmaßstab des Beschwerdegerichts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO in entsprechender Anwendung ausgesetzt, um das Ergebnis einer in einem fremden Verfahren eingeleiteten EuGH-Vorlage abzuwarten, so ist diese Aussetzungsentscheidung gemäß § 252 ZPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

2. In einem solchen Falle ist der Prüfungsmaßstab des Beschwerdegerichts ob der originären Sachentscheidungskompetenz des Instanzgerichts beschränkt. Er erstreckt sich grundsätzlich lediglich auf die formelle Entscheidungserheblichkeit des fremden Vorlageverfahrens für das ausgesetzte Verfahren sowie die Prüfung von Ermessensfehlern.

3. Die Prüfung einer materiellen Entscheidungserheblichkeit der in dem fremden Vorlageverfahren gestellten Auslegungsfragen für den ausgesetzten Rechtsstreit ist dem Beschwerdegericht grundsätzlich verwehrt. So erscheint die Annahme, dass der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner Entscheidung vom 9. September 2021 - C-33/20 u.a. - Fragen der Vereinbarkeit des Verwirkungseinwandes mit der Verbraucherkreditrichtlinie noch nicht abschließend beantwortet habe, zwar eher fernliegend. Es ist dem Beschwerdegericht jedoch verwehrt, seine eigene rechtliche Würdigung an die Stelle derjenigen des Instanzgerichts zu setzen.

 

Normenkette

AEUV Art. 267; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; ZPO §§ 148, 252, 348a Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 567 Abs. 1 Nr. 1, § 568 S. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Braunschweig (Beschluss vom 03.12.2021; Aktenzeichen 5 O 423/21 (064))

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Aussetzungsbeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 3. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Mit Klageschrift vom 11. September 2020, zugestellt am 5. Oktober 2020, nimmt der Kläger die Beklagte auf Rückabwicklung eines mit einem Kraftfahrzeugkaufvertrag verbundenen Verbraucherdarlehensvertrages nach Widerruf in Anspruch.

Der Kläger als Darlehensnehmer schloss - vermittelt durch ein Autohaus - mit der Beklagten als Darlehensgeberin am 5. November 2015 einen Verbraucherdarlehensvertrag mit einer Laufzeit von 48 Monaten über einen Nettodarlehensbetrag in Höhe von 24.400,00 Euro. Das Darlehen diente der Teil-Finanzierung des Kaufs eines privat genutzten gebrauchten Audi A6 Avant 3.0 TDI quattro zu einem Kaufpreis in Höhe von 26.900,00 Euro. Den von dem Autohaus zur Verfügung gestellten Vertragsunterlagen war eine Widerrufsinformation beigefügt, wobei wegen der Einzelheiten auf Seite 5 des Darlehensantrages vom 5. November 2015 (Anlage K2/B1) Bezug genommen wird. Die Beklagte kehrte die Darlehensvaluta an das verkaufende Autohaus aus. Der Kläger erbrachte an dieses vereinbarungsgemäß eine Anzahlung in Höhe von 2.500,00 Euro und leistete in der Folge die vereinbarten Zins- und Tilgungsleistungen an die Beklagte. Nach Zahlung der Schlussrate im November 2019 übertrug die Beklagte das Sicherungseigentum an dem zu finanzierenden Fahrzeug auf den Kläger. Der Kläger veräußerte das Fahrzeug am 26. November 2019 zum Preis von 12.500,00 Euro weiter. Am 17. Januar 2020 widerrief er seine auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung. Er vertritt die Ansicht, dass er bei Abschluss des Darlehensvertrages nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht unterrichtet worden sei.

Die Beklagte meint, dass der Kläger im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben über sein Widerrufsrecht belehrt worden sei. Ein etwaiges Widerrufsrecht des Klägers sei jedenfalls verwirkt bzw. stelle sich dessen Ausübung als rechtsmissbräuchlich dar.

Der Kläger hat seine Klage ursprünglich vor dem Landgericht München II erhoben, dessen örtliche Zuständigkeit die Beklagte gerügt hat. Auf Antrag des Klägers hat sich dieses durch Beschluss vom 3. Februar 2021 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Braunschweig verwiesen.

Dort hat die Kammer die Entscheidung des Rechtsstreits gemäß § 348a Abs. 1 ZPO durch Beschluss vom 27. August 2021 auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.

Durch Verfügung vom 18. November 2021 hat die Einzelrichterin den auf den 18. Januar 2022 zur Güteverhandlung und gegebenenfalls anschließenden mündlichen Verhandlung anberaumten Termin aufgehoben und dies mit Blick auf die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 9. September 2021 - verbundene Rechtssachen C-33/20, C-155/20 und C-187/20 - begründet. Danach sei derzeit ungewiss, ob der Einwand der Verwirkung trotz dieser Entscheidung noch "möglich" sei. Demgegenüber verdichteten sich die Anzeichen, dass der Bundesgerichtshof - wie bereits angedeutet etwa in dem Beschluss vom 11. Oktober 2021 - XI ZR 144/21 - dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage der Verwirkung noch einmal umfassend zur Prüfung vorlegen werde. Im Hinblick auf die derzeit bestehende unsich...

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