Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Entscheidung, einen Vormund zu entlassen
Leitsatz (amtlich)
1.) Ein Verfahren nach § 1886 BGB kann nicht allein aufgrund eines Antrags auf Wechsel der Vormundschaft des Jugendamtes ohne Anhörung der weiteren Beteiligten mit einem Beschluss beendet werden, der weder ein Rubrum noch eine Begründung aufweist.
2.) Die Entscheidung über die Entlassung des Vormunds trifft nach § 3 Nr. 2 a RPflG i. V. m. § 151 Ziff. 4 FamFG der funktionell zuständige Rechtspfleger des Familiengerichts, nachdem zuvor gemäß §§ 159ff. FamFG das Mündel, die Eltern, der Vormund und das Jugendamt angehört worden sind. § 1847 BGB sieht vor, dass gegebenenfalls auch weitere Verwandte und Verschwägerte anzuhören sind.
3.) Etwas anderes gilt auch nicht dann, wenn der Rechtspfleger von einer Eilbedürftigkeit ausgeht. Liegt eine schwerwiegende Gefährdung des Mündels vor, die ein sofortiges Handeln erfordert, muss der Rechtspfleger das Verfahren dem insoweit funktionell gemäß § 14 Nr. 2 RPflG zuständigen Familienrichter mit der Anregung zur Einleitung eines einstweiligen Anordnungsverfahrens gemäß §§ 1837 Abs. 4, 1666 BGB, §§ 49 ff. FamFG vorlegen.
4.) Ein Entlassungsgrund i. S. d. § 1886 BGB kann darin liegen, dass der Einzelvormund (hier: die Halbschwester eines iranischen Flüchtlings) trotz zunehmender massiver Verhaltensauffälligkeiten des Mündels bei eigener Untätigkeit die ihr wiederholt angebotenen öffentlichen Hilfen nicht annimmt.
5.) Statthaftes Rechtsmittel des (Einzel-)Vormunds gegen die Entscheidung, ihn zu entlassen, ist die Beschwerde gem. § 11 Abs. 1 RPfflG i. V. m. § 58 Abs. 1 FamFG.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1697a, 1793, 1837, 1847, 1886; FamFG § 37 Abs. 2, §§ 38, 151 Nr. 1, § 159 Abs. 2, § 160 Abs. 1; GG Art. 6; RPflG § 3 Nr. 2 Buchst. a; SGB VIII § 1
Verfahrensgang
AG Salzgitter (Aktenzeichen 40 F 83/18) |
Tenor
1.) Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss vom 01.02.2019 wird zurückgewiesen.
2.) Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3.) Der Wert für das Beschwerdeverfahren beträgt 3.000 EUR.
4.) Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
5.) Der Verfahrenskostenhilfeantrag der Beschwerdeführerin vom 28.02.2019 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen ihre Entlassung als Vormund und die Bestellung der Stadt Salzgitter/des Landkreises Wolfenbüttel zum Vormund für das am 2006 geborene Mündel M. B..
Die Beschwerdeführerin ist die ältere Halbschwester M.s, der im Jahr 2016 ohne seine Eltern vom Iran nach Deutschland kam. Mit Beschluss vom 01.11.2016 wurde das Ruhen der elterlichen Sorge beider Elternteile festgestellt; zum Vormund wurde die Beschwerdeführerin, welche mit ihrem Ehemann bereits in Deutschland lebte, bestellt. Die Eltern des Mündels leben nach wie vor im Iran.
Im Juli 2017 meldete die Schule dem Jugendamt Wolfenbüttel massive Verhaltensauffälligkeiten M.s. Daraufhin angebotene Hilfen wurden von der Beschwerdeführerin vehement abgelehnt.
Im Oktober 2017 und nochmals im Februar 2018 meldete die Schule erneut Verhaltensauffälligkeiten des Mündels; er sei gewalttätig und beleidigend gegenüber Mitschülern und Lehrern, und seine Leistungen hätten sich zunehmend verschlechtert. Ferner habe M. geäußert, zu Hause vom Ehemann der Schwester geschlagen zu werden. Nachdem die Beschwerdeführerin zunächst erneut Unterstützungsangebote ablehnte, wurde im März 2018 schließlich Familienhilfe installiert. Im Laufe dieser Hilfe kam von den Hilfeerbringern vermehrt die Rückmeldung, das Mündel habe geäußert, zu Hause geschlagen zu werden und in eine Einrichtung wechseln zu wollen, habe aber Ängste vor den Konsequenzen und Reaktionen seiner Verwandten hierauf.
Das Mündel wurde auf seinen nochmals bekundeten Wunsch hin gegen den Willen der Beschwerdeführerin am 08.05.2018 in Obhut genommen. Nach einem Antrag des Landkreises Wolfenbüttel auf Übertragung der Vormundschaft fand am 23.05.2018 im Verfahren 31 F 106/18 SO eine Anhörung M.s, der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes statt. Im Rahmen dieser Anhörung bestritt der Ehemann, das Mündel zu schlagen; er habe ihn nur einmal gestoßen, um ihn zu warnen und ihn zum Lernen in der Schule anzuhalten. Das Mündel bekundete im Rahmen der Anhörung, vom Ehemann seiner Schwester geohrfeigt und mit der Faust an den Hals geschlagen worden zu sein. Seine Schwester sei "dann immer dazwischen gegangen und habe sie getrennt". Er habe zwar in eine Einrichtung gewollt und habe dort auch Spaß, vermisse seine Schwester aber sehr.
Nachdem mit den Beteiligten die Grundsätze gewaltfreier Erziehung erörtert worden waren und die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann zugesagt hatten, mit den Hilfeerbringern zusammenarbeiten zu wollen, erfolgte am 24.05.2018 die Rückführung des Mündels in den Haushalt der Beschwerdeführerin. Die Familie erhielt Unterstützung durch zwei Familienhelferinnen, die anfangs gut angenommen wurde. Nach einem Umzug der Familie Mitte Juli 2018 na...