Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen für das Vorliegen des Umstandsmoments im Rahmen der Verwirkung des Widerrufsrechts bei einem Verbraucher-Darlehensvertrag
Leitsatz (amtlich)
1. Das Vorliegen des Umstandsmoments im Rahmen der Verwirkung des Widerrufsrechts bei einem Verbraucher-Darlehensvertrag ist nicht im Sinne einer tatsächlichen Vermutung bei Vorliegen bestimmter Umstände anzunehmen, sondern es sind alle relevanten Umstände des Einzelfalls heranzuziehen und zu bewerten.
2. Ein Faktor von maßgeblichem Gewicht für die Annahme des Umstandsmoments ist es, wenn der Vertrag auf Wunsch des Verbrauchers bzw. von den Parteien einverständlich beendet wurde. Auch hieraus ist aber nicht ohne weiteres auf das Vorliegen des Umstandsmoments zu schließen, sondern es bedarf weiterhin einer Gesamtwürdigung.
3. Ein weiterer Zeitablauf zwischen der Ablösung bzw. sonstigen Beendigung des Darlehens und dessen Widerruf kann für die Bejahung des Umstandsmoments von Bedeutung sein.
4. Die Aufgabe von Sicherheiten für das Darlehen kann für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Darlehensgebers sprechen. Dies gilt nicht, wenn sich der Darlehensgeber lediglich einem Dritten gegenüber schuldrechtlich zur Abtretung der Sicherheiten verpflichtet und er durch den verbleibenden Wert der Sicherheiten weiterhin hinreichend gesichert in Bezug auf etwaige Ansprüche aus einer Darlehensrückabwicklung bleibt.
5. Gegen die Annahme des Umstandsmoments spricht es, wenn auch nach der Beendigung des konkreten streitgegenständlichen Darlehensvertrags in wirtschaftlicher Hinsicht das Darlehensverhältnis zwischen den Vertragsparteien hinsichtlich der ursprünglichen Verbindlichkeit bzw. eines an deren Stelle getretenen Betrags fortgesetzt wurde.
6. Das Ablaufen der Zinsbindungsfrist bei einem zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendeten Darlehen ist kein Umstand, der ein schutzwürdiges Vertrauen des Darlehensgebers darin zu begründen geeignet ist, dass ein Darlehenswiderruf nicht mehr erfolgen werde.
7. Dass ein Darlehensnehmer von einem Widerrufsrecht bei einem noch nicht beendeten Darlehensvertrag zunächst keinen Gebrauch macht, obwohl er bereits zur Frage des Bestehens eines Widerrufsrechts anwaltlich beraten ist, begründet kein schutzwürdiges Vertrauen des Darlehensgebers darin, dass ein Widerruf nicht mehr erfolgen werde.
8. Bei einem noch nicht beendeten Darlehensvertrag kann die Vereinbarung einer Prolongation oder Konditionenänderung grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen des Darlehensgebers darin begründen, dass ein Darlehenswiderruf nicht mehr erfolgen werde.
9. Gegen die Entstehung schutzwürdigen Vertrauens des Darlehensgebers in das Nichterfolgen eines Darlehenswiderrufs spricht es, wenn der Darlehensgeber gegenüber dem Darlehensnehmer offen lässt, ob er die Wirksamkeit des Widerrufs eines mit einer identischen Widerrufsbelehrung versehenen Darlehen anerkennt.
Normenkette
BGB-InfoVO § 14 Abs. 1 a.F.; BGB §§ 242, 346, 355
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 2 O 1741/19) |
Tenor
I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 04.06.2020, Az.: 2 O 1741/19, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
II. Der Beklagten und Berufungsklägerin wird Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 30.09.2020 gegeben.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Rückforderungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte im Hinblick auf den Widerruf mehrerer Darlehensverträge, wobei streitgegenständlich in der Berufungsinstanz nur noch der im Jahr 2016 erklärte Widerruf dreier im Jahr 2006 geschlossener Darlehensverträge ist.
Am 28.02.2006 schlossen die Klägerin als Darlehensnehmerin und die Beklagte als Darlehensgeberin zur Finanzierung eines Einfamilienhauses insgesamt drei Darlehensverträge zu den Vertragsnummern 62340831, 62340849 und 62340856 über einen Darlehensbetrag von insgesamt EUR 450.000,- ab, wobei alle Darlehen eine bis zum 28.02.2016 festgelegte Verzinsung von 4,22 % p.a. vorsahen. Alle drei Darlehen wurden durch eine Grundschuld über EUR 450.000,- am zu finanzierenden Einfamilienhausgrundstück besichert. Am 05.01.2007 schlossen die Parteien aufgrund weiteren Finanzierungsbedarfs der Klägerin noch einen weiteren Darlehensvertrag zur Vertragsnummer 60313624 über eine Darlehensvaluta von EUR 120.000,- unter Festlegung einer Verzinsung von 5,2 % p.a. bis zum 30.01.2017 ab. Zur Sicherung ihrer Darlehensverbindlichkeiten wurde von der Klägerin eine weitere Grundschuld über EUR 120.000,- am selben Grundstück bestellt. Für sämtliche Darlehensverträge erteilte die Beklagte in den relevanten Passagen gleichlautende Widerrufserklärungen.
Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 04.11.2015 erklärte die Klägerin unter Berufung auf eine geltend gemachte Fehlerhaftigkeit der von der Beklagten verwendeten Widerrufsbelehrung den Widerruf des Darlehensvertrags vom 05.01.2007. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 10.11.2015 mit, die Angelegenheit zu prüfen. Am 29.0...