Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksamkeit der Zustellung bei fehlendem Willen des Prozessbevollmächtigten, das ihm per Empfangsbekenntnis übermittelte Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen
Leitsatz (amtlich)
Der fehlende Wille des Prozessbevollmächtigten, das ihm per Empfangsbekenntnis übermittelte Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen, führt zur Unwirksamkeit einer Zustellung nach § 175 Abs. 1 ZPO (BGH, Urteil vom 14. September 2011 - XII ZR 168/09 -, BGHZ 191, 59, Rn. 16). Ein solcher Zustellungsmangel ist auch nicht gemäß § 189 ZPO heilbar (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 1988 - VI ZR 226/87 -, Rn. 18, juris; Beschluss vom 13. Januar 2015 - VIII ZB 55/14 -, Rn. 12, juris). Dies gilt auch dann, wenn im Zeitpunkt des Zugangs des Schriftstücks eine Prozessvollmacht des Zustellungsadressaten, etwa gemäß § 87 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 55 Abs. 2 S. 4 BRAO, besteht.
Normenkette
ZPO § 87 Abs. 1, § 175 Abs. 1, § 189
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 6 O 1008/19) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten hin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Bremen vom 15.11.2021 - 6 O 1008/19 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
Gründe
I. Der Beklagte wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss, mit dem die von ihm an den Kläger zu erstattenden Kosten auf 4.548,07 EUR festgesetzt worden sind.
Mit Versäumnisurteil vom 09.12.2019 verurteilte das Landgericht Bremen den Beklagten zur Herausgabe, Übertragung und Abtretung eines Geschäftsanteils an der x-UG und erlegte dem Beklagten die Kosten des Rechtstreits zu 80% auf. Den hiergegen gerichteten Einspruch des Beklagten verwarf das Landgericht mit Urteil vom 08.04.2020 als unzulässig. Auf die Berufung des Beklagten hob der Senat nach mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 07.08.2020 das Urteil des Landgerichts Bremen vom 08.04.2020 auf, gewährte dem Beklagten wegen der Versäumung der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Bremen zurück.
Nach Erlass des Urteils des Senats verstarb der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers. Zur Abwicklerin wurde Rechtsanwältin Y. bestellt, die das Urteil des Senats vom 07.08.2020 am 06.10.2020 als zugestellt entgegennahm. Mit Schriftsatz vom 19.02.2021 teilte die Abwicklerin mit, dass sie den Beklagten informiert habe, dass ihr Mandat beendet sei. Sie verweigerte die Entgegennahme der Ladung zum anberaumten Termin, zu dem niemand für den Beklagten erschien, woraufhin das Landgericht den Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 06.12.2019 mit 2. Versäumnisurteil vom 16.06.2021 verwarf und dem Beklagten die weiteren Kosten des Verfahrens auferlegte. Die Abwicklerin teilte mit Schriftsatz vom 07.07.2021 mit, dass ihr das Versäumnisurteil zugegangen sei, sie dieses aber wegen der Mandatsbeendigung als nicht zugestellt entgegennehme, zumal es sich nach der Zurückverweisung um eine neue Sache handele, die nicht mehr von der Abwicklung umfasst sei. Das zweite Versäumnisurteil habe sie an den Beklagten, zu dem kein Kontakt bestehe, weitergeleitet.
Auf Antrag des Klägers setzte das Landgericht die von dem Beklagten die vom Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten auf 4.548,07 EUR fest. Der Kostenfestsetzungsbeschluss wurde am 22.11.2022 zur Zustellung gegen Empfangsbekenntnis an die Abwicklerin abverfügt. Mit Schriftsatz vom 25.11.2021 erklärte diese erneut, sie habe das Versäumnisurteil mit Protokoll erhalten, lehne eine Entgegennahme als zugestellt ab. Mit Schriftsatz vom 14.01.2022 wies sie darauf hin, dass die Abwicklung für den verstorbenen Rechtsanwalt R. beendet sei.
Mit Schreiben unklaren Datums, eingegangen beim Landgericht am 13.04.2023, legte der Beklagte persönlich, nachdem ihn die Obergerichtsvollzieherin zum Vollstreckungsantrag des Klägers angehört und ihm in diesem Zuge eine Abschrift des Kostenfestsetzungsbeschlusses übermittelt hatte, "Widerspruch-einspruch" gegen den Zwangsvollstreckungsauftrag ein, beantragte die Aussetzung der Zwangsvollstreckung und rügte, er habe einen Kostenfestsetzungsbeschluss nicht erhalten.
Mit Beschluss vom 12.05.2023 lehnte es das Landgericht ab, der sofortigen Beschwerde des Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss abzuhelfen und legte die Sache dem Senat zur Entscheidung vor. Die sofortige Beschwerde sei verfristet. Etwaige Einwendungen gegen den Vollstreckungsauftrag seien beim Vollstreckungsgericht geltend zu machen.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 12.06.2023 Stellung genommen und weist auf den Fortbestand der Vollmacht der Abwicklerin und darauf hin, dass davon auszugehen sei, dass die Abwicklerin die bei ihr eingehenden Ausfertigungen gerichtlicher Entscheidungen an den Beklagten weitergeleitetet habe, so dass etwaige Zustellungsmängel jedenfalls geheil...