Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwaltliche Sorgfalt bei Überprüfung der Rechtsmittelfrist
Leitsatz (amtlich)
Der zur Einlegung des Rechtsmittels beauftragte Rechtsanwalt muss eigenverantwortlich das für den Beginn des Laufs der Rechtsmittelfrist maßgebende Zustellungsdatum feststellen. Dabei darf er aus dem Datum des Eingangsstempels, das sich auf der vom erstinstanzlich beauftragten Rechtsanwalt übermittelten Ausfertigung der erstinstanzlichen Entscheidung befindet, nicht ohne weiteres auf den Tag der Zustellung schließen.
Normenkette
FamFG § 17 Abs. 1; ZPO § 233
Verfahrensgang
AG Bremen (Beschluss vom 15.06.2015; Aktenzeichen 63 F 2397/15 SO) |
Tenor
Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Bremen vom 15.6.2015 wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag der Kindesmutter auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 28.7.2015 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Kindesmutter.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 3.000 festgesetzt.
Gründe
I. Durch Beschluss des AG Bremen vom 15.6.2015 (Bl. 37 ff. d.A.) ist den Beteiligten zu 2. und 3. die elterliche Sorge für den am [...] geborenen [...] entzogen und dem Jugendamt [...] als Vormund übertragen worden. Dieser Beschluss ist dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter ausweislich des entsprechenden Empfangsbekenntnisses (Bl. 52 d.A.) am 16.6.2015 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 17.7.2015, der auch am 17.7.2015 beim AG Bremen per Fax einging, legte die jetzige Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter Beschwerde gegen den Beschluss des AG vom 15.6.2015 ein. Auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden vom 27.7.2015, dass Bedenken gegen die Rechtzeitigkeit der Beschwerde bestünden, weil der angefochtene Beschluss am 16.6.2015 zugestellt, die Beschwerde aber erst am 17.7.2015 eingegangen sei, hat die Kindesmutter bezüglich der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sie, die Kindesmutter, erst durch die Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 27.7.2015 Kenntnis davon erlangt habe, dass der angefochtene Beschluss ihrem damaligen Verfahrensbevollmächtigten bereits am 16.6.2015 zugestellt worden sei. Die ihr von ihrem damaligen Verfahrensbevollmächtigten überlassene Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses weise den Eingangsstempel "18.6.2015" auf. Sie und ihre neue Verfahrensbevollmächtigte hätten sich deshalb darauf verlassen, dass der Beschluss ihrem damaligen Verfahrensbevollmächtigten erst am 18.6.2015 zugestellt worden sei.
II.1. Die am 17.7.2015 beim AG eingelegte Beschwerde der Kindesmutter ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der mit Ablauf des 16.7.2015 endenden Beschwerdefrist (vgl. § 63 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 FamFG) eingelegt wurde. Nach § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG beginnt die Beschwerdefrist mit der Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten. Nach § 15 Abs. 2 FamFG kann die Bekanntgabe u.a. durch Zustellung nach den §§ 166 bis 195 ZPO bewirkt werden. Gemäß § 174 Abs. 1 ZPO kann an einen Rechtsanwalt gegen Empfangsbekenntnis, nach § 174 Abs. 2 ZPO auch durch Telekopie, zugestellt werden. Das Empfangsbekenntnis ist Privaturkunde und erbringt Beweis für die Entgegennahme des zugestellten Schriftstückes als zugestellt und für den Zeitpunkt der Entgegennahme (BVerfG, Beschluss vom 27.3.2001, 2 BvR 2211/97, NJW 2001, 1563, 1564; Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 174 Rz. 20 m.w.N.). Ausweislich des Empfangsbekenntnisses des ursprünglichen Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter ist diesem der angefochtene Beschluss am 16.6.2015 zugestellt worden. Die am 17.7.2015 bewirkte Einlegung der Beschwerde der Kindesmutter erfolgte also nach Ablauf der Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 Satz 3 FamFG.
2. Der Antrag der Kindesmutter auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gem. § 17 f. FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er ist jedoch nicht begründet. Nach § 17 Abs. 1 FamFG ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne sein Verschulden gehindert ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, denn die verspätete Einlegung der Beschwerde beruht auf einem Verschulden der Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter, welches der Kindesmutter gem. § 11 S. 5 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
Hat ein Beteiligter mehrere anwaltliche Vertreter, so hindert das Verschulden auch nur eines von ihnen die Wiedereinsetzung. Werden mehrere Anwälte für verschiedene Instanzen beauftragt, so überschneiden sich ihre Vertreterpflichten unter Umständen: Die Überwachung der Rechtsmittelfrist, insbesondere die Feststellung des Zustellungszeitpunkts der anzufechtenden Entscheidung, ist auch noch Pflicht des Verfahrensbevollmächtigten für die Vorinstanz (BGH, Beschl. v. 22.11.1990 - I ZB 13/09, NJW-RR 1991, 828 f.; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 233 Rz. 23 - Stichwort: "Mehrere Anwälte", m.w.N.). Der erstinstanzliche...