Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Verschuldete Versäumung einer Rechtsmittelfrist bei unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung; Anforderungen an verfahrensrechtliche Grundkenntnisse eines im Familienrecht tätigen Rechtsanwalts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist auch in den Fällen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen ist und deshalb - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 24.01.2018, XII ZB 534/17).

2. Dass Beschwerden gegen Endentscheidungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 57 Satz 2 FamFG (hier: über die elterliche Sorge für ein Kind) gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen sind, gehört zu den verfahrensrechtlichen Grundkenntnissen eines im Familienrecht tätigen Rechtsanwaltes, auch wenn es sich nicht um einen Fachanwalt für Familienrecht handelt.

 

Normenkette

FamFG § 17 Abs. 2, § 57 S. 2 Nr. 1, § 63 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

AG Bremen (Aktenzeichen 64 F 3569/20)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bremen vom 27.01.2021 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Kindesvaters auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bremen vom 27.01.2021 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Kindesmutter auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist wird zurückgewiesen.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 2.000,00 festgesetzt.

 

Gründe

I. Mit Beschluss vom 18.11.2020 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Bremen den Kindeseltern die elterliche Sorge für ihre [...] im Rubrum genannten Kinder gemäß §§ 1666, 1666a BGB vorläufig entzogen und dem Jugendamt als Vormund übertragen. Mit Beschluss vom 27.01.2021 hat das Familiengericht nach mündlicher Verhandlung diesen Beschluss hinsichtlich des Kindesvaters insgesamt und hinsichtlich der Kindesmutter bezüglich des Aufenthaltsbestimmungsrechts aufrechterhalten. In der Rechtsmittelbelehrung des letztgenannten Beschlusses heißt es auszugsweise "Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde angefochten werden. Sie ist innerhalb eines Monats bei dem Amtsgericht Bremen... einzulegen". Der Beschluss ist dem Verfahrensbeistand am 29.01.2021, der Verfahrensbevollmächtigten des Kindesvaters am 01.02.2021 und der Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter am 03.02.2021 bekannt gemacht worden. Der Verfahrensbeistand hat form- und fristgerecht Beschwerde gegen den Beschluss vom 27.01.2021 eingelegt.

1. Mit Schriftsatz vom 19.02.2021, der am 22.02.2021 per Fax beim Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen eingegangen ist, hat der Verfahrensbevollmächtigte des Kindesvaters Beschwerde eingelegt. Mit Verfügung vom 22.02.2021 hat der Vorsitzende des Senats den Verfahrensbevollmächtigten des Kindesvaters darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels bestünden, weil die Beschwerde nach Ablauf der gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zweiwöchigen Beschwerdefrist eingegangen und zudem nicht beim Amtsgericht, sondern beim Beschwerdegericht eingelegt worden sei. Auf diesen Hinweis hat der Verfahrensbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 02.03.2021 Stellung genommen. Darin führt er aus, dass die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses fehlerhaft sei, weil darauf hingewiesen werde, dass die Beschwerdefrist einen Monat betrage. Aufgrund dieser fehlerhaften Belehrung sei eine fehlerhafte Eintragung in den Fristenkalender erfolgt. Grundsätzlich müsse auch ein Rechtsanwalt auf eine durch das Gericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen dürfen.

2. Mit Schriftsatz vom 01.03.2021, der am gleichen Tage beim Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen eingegangen ist, hat die Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter Beschwerde eingelegt. Mit Verfügung vom 04.03.2021 hat der Vorsitzende des Senats die Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels bestünden, weil die Beschwerde nach Ablauf der gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zweiwöchigen Beschwerdefrist eingegangen und zudem nicht beim Amtsgericht, sondern beim Beschwerdegericht eingelegt worden sei. Auf diesen Hinweis hat die Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter mit Schriftsatz vom 24.03.2021 Stellung genommen und Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist beantragt. Darin führt sie aus, dass die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses fehlerhaft sei, weil darauf hingewiesen werde, dass die Beschwerdefrist vier Wochen betrage. Aufgrund dieser fehlerhaften Belehrung sei eine fehlerhafte Eintragung in den Fristenkalender erfolgt. Grundsätzlich müsse auch ein Rechtsanwalt auf eine durch das Gericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen dürfen.

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