Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rechtsanwalt kann - ungeachtet des Wortlauts des § 17 Abs. 2 FamFG - das Vertrauen in eine inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung eines Gerichts nur dann in Anspruch nehmen, wenn diese zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat.
2. Bezüglich des Kenntnisstands eines Rechtsanwalts ist zu Grunde zu legen, dass dieser - unabhängig von einer Belehrung durch das Gericht - den Gesetzestext für fristgebundene Rechtsmittel in der jeweiligen Verfahrensart kennt.
3. Vertritt ein Rechtsanwalt einen Beteiligten in einem Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsab-kommen (HKÜ), so ist vorauszusetzen, dass er Kenntnis von den das FamFG modifizierenden, in HKÜ-Verfahren anwendbaren Verfahrensvorschriften des IntFamRVG (des deutschen Ausführungsgesetzes zum HKÜ) und damit auch von der zweiwöchigen Beschwerdefrist gemäß § 40 Abs. 2 S. 2 IntFamRVG hat.
4. Verlässt sich ein Rechtsanwalt auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung eines Amtsgerichts in einem HKÜ-Verfahren, die die Beschwerdefrist mit einem Monat statt mit zwei Wochen angibt, ist der Beteiligte, dem das Verschulden seines Rechtsanwalts gemäß § 11 S. 5 FamFG, § 85 Abs. 2 ZPO entsprechend zuzu-rechnen ist, nicht ohne sein Verschulden verhindert gewesen, eine gesetzliche Frist einzuhalten (§ 17 Abs. 1 FamFG), weshalb ihm keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden kann.
Normenkette
FamFG § 17; IntFamRVG § 40 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
AG Stuttgart (Beschluss vom 24.07.2019; Aktenzeichen 21 F 998/19) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 24.07.2019, Az. 21 F 998/19, wird als unzulässig
verworfen.
2. Der Wiedereinsetzungsantrag der Antragsgegnerin wird
zurückgewiesen.
3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.
5. Dem Antragsteller wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin ..., ... ratenfrei Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt.
Gründe
I. 1. Die Beteiligten führen ein Verfahren gemäß den Vorschriften des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (im Folgenden: HKÜ) über die Rückführung des Kindes M... P..., geb. am ...2009, nach Polen.
Mit Beschluss vom 24.07.2019 hat das Amtsgericht Stuttgart wie folgt entschieden:
Die Antragsgegnerin P... S.. ist verpflichtet, das Kind M... P..., geboren am ...2009, derzeit wohnhaft in der ..., binnen zwei Wochen ab Wirksamkeit dieses Beschlusses nach Polen zurückzuführen.
Der Beschluss des Amtsgerichts vom 24.07.2019 ist mit folgender Rechtsbehelfsbelehrung versehen:
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen diesen Beschluss findet das Rechtsmittel der Beschwerde statt.
Die Beschwerde ist binnen einer Frist von 1 Monat bei dem
Amtsgericht Stuttgart
Hauffstr. 5
70190 Stuttgart
einzulegen.
2. Der Beschluss des Amtsgerichts wurde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin am 08.08.2019 zugestellt.
Die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers, der der Beschluss bereits am 07.08.2019 zugestellt worden war, hatte mit Schriftsatz vom 07.08.2019 um die Berichtigung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 24.07.2019 dahingehend gebeten, als die im Beschluss aufgenommene Rechtsbehelfsbelehrung eine Frist für die Beschwerde von 1 Monat enthalte, während hier die Frist für die Beschwerde gemäß § 40 Abs. 2 S. 2 IntFamRVG zwei Wochen betrage. Mit Verfügung des Gerichts vom 08.08.2019 wurde eine Abschrift an die Antragsgegnervertreterin übersandt.
Mit am 27.08.2019 beim Amtsgericht Stuttgart eingegangenem, mit einer Beschwerdebegründung versehenem Schriftsatz legte die Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Beschwerde ein.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde der Antragsgegnerin als verfristet zu verwerfen.
Mit Beschluss vom 06.09.2019 wies der Senat darauf hin, dass die Beschwerde der Antragsgegnerin verfristet sei.
Mit beim Oberlandesgericht Stuttgart am 17.09.2019 eingegangenem Schriftsatz führte die Antragsgegnerin aus, dass es zwar zutreffend sei, dass die Beschwerde verfristet sei. Eine andere Beurteilung sei allerdings vorzunehmen, wenn ein Beteiligter auf die Frist, die in der Rechtsbehelfsbelehrung des Beschlusses angegeben ist, vertraut habe. Nach der Meistbegünstigungstheorie dürften Fehler des Gerichts nicht zu Lasten der Beteiligten ergehen.
Die Antragsgegnerin beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Der Antragsteller beantragt,
den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist zurückzuweisen.
Er geht davon aus, dass von einem Rechtsanwalt/einer Rechtsanwältin erwartet werde, dass er/sie die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittel in der jeweiligen, auch international-rechtlichen Verfahrensart kenne. Die Antragsgegnerin, der ein Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten zuzurechnen sei, sei nicht ohne ihr Verschu...