Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterlässt es der Versicherungsnehmer, auf ihm bekannte Vorschäden gegenüber einem von ihm beauftragten Gutachter hinzuweisen, ist das Gutachten unvollständig und zur Ermittlung der Schadenshöhe ungeeignet.

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der geschädigte Versicherungsnehmer einer KfZ-Vollkaskoversicherung kann der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast zum Schadensumfang bereits dann nicht durch Vorlage eines von ihm beauftragen Privatgutachtens nachkommen, wenn dem Versicherungsnehmer bekannt war, dass das Fahrzeug Vorschäden aufwies und der Versicherungsnehmer es unterlassen hat, gegenüber dem von ihm beauftragten Gutachter die Vorschäden offenzulegen und der Gutachter deshalb unstreitig vorhandene Vorschäden bei der Ermittlung der Schadenshöhe unberücksichtigt lässt.

2. Dem Versicherungsnehmer obliegt es, den Versicherer auf ihm bekannte Vorschäden des versicherten Fahrzeugs hinzuweisen. Diese Obliegenheit besteht auch dann, wenn der Versicherungsnehmer selbst davon ausgeht, es liege ein vollständig fachgerecht reparierter Vorschaden vor.

 

Normenkette

VVG § 28

 

Verfahrensgang

LG Bremen (Aktenzeichen 6 O 734/20)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt weiterhin, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bremen - 6. Zivilkammer - vom 06.10.2022 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Klägerin erhält erneut Gelegenheit, hierzu bis zum 06.07.2023 schriftsätzlich Stellung zu nehmen (§ 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

 

Gründe

I. Der Senat hat die Klägerin mit Hinweisbeschluss vom 19.04.2023 darauf hingewiesen, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg bietet und der Senat beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst vollumfänglich auf diesen Beschluss Bezug.

Im Hinweisbeschluss vom 19.04.2023 hat der Senat es offengelassen, ob ein Anspruch der Klägerin daran scheitert, dass eine fachgerechte Reparatur der unstreitigen Vorschäden vorliegend nicht dargelegt worden ist. Denn der Senat war zu der Überzeugung gelangt, die Klägerin habe arglistig ihre Obliegenheiten gegenüber der Beklagten verletzt, indem sie wahrheitswidrig gegenüber der Beklagten angab, ihr sei kein Vorschaden bekannt gewesen.

Mit Schriftsatz vom 10.05.2023 hat die Klägerin hierzu Stellung genommen und die Schadensanzeige vom 23.01.2018 (Anlage K11) zur Akte gereicht, zu der die Beklagte bisher noch nicht Stellung genommen hat. Entscheidend für die Beurteilung der Arglist gemäß Abschnitt E 2.2 der AKB (entspricht § 28 Abs. 3 S.2 VVG) ist jedoch, dass die Klägerin im Anschluss an diese Schadensanzeige auf ausdrückliche Nachfrage der Beklagten in deren Schreiben vom 19.06.2019 unter Ziff. 3) antwortete "Mir war von einem Vorschaden nichts bekannt" (Anl. K 7 Bl. 15 Rs. d.A., offensichtlich identisch mit: Anlage B 5 Rs. zum Schriftsatz der Beklagten vom 16.09.2020). Diese Angabe war im Hinblick auf die Angaben im Kaufvertrag vom 22.11.2018 schlicht falsc Die Klägerin hat damit ihre Obliegenheit zur wahrheitsgemäßen Angabe verletzt. Auch wenn die Klägerin - ihren eigenen Angaben nach - im Zeitpunkt des Kaufs kein Interesse an der Art der Vorschäden gehabt haben sollte, so war sie - spätestens - auf die Nachfrage der Beklagten verpflichtet, sich bei dem Voreigentümer genauer über die ihr offenbarten Vorschäden zu erkundigen. Der Senat lässt es an dieser Stelle ausdrücklich offen, ob eine solche Pflicht nicht sogar bereits bei Erstellung der Schadensanzeige, insbesondere vor der Begutachtung durch den Sachverständigen der Beklagten bestanden hätte.

Aus den im Beschluss vom 19.04.2023 (S. 5/6) genannten Gründen lag in dieser falschen Angabe ein arglistiges Verschweigen von Tatsachen. In dem Verschweigen der Vorschäden liegt angesichts des späteren Verkaufs des Fahrzeugs eine erhebliche Beeinträchtigung der Schadensfeststellung (s.u.).

II. Ergänzend weist der Senat nunmehr auch darauf hin, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, weil das Landgericht zutreffend erkannt hat, dass die Reparatur der Vorschäden nicht dargelegt worden ist und auch eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO vorliegend unmöglich ist.

Auch insoweit ist eine Entscheidung durch Urteil unter Zulassung der Revision nicht gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, weil es sich auch insoweit um eine Tatsachenentscheidung in einem Einzelfall handelt Schließlich ist auch eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO).

1. Rechnet der Geschädigte - wie hier die Klägerin - auf der Grundlage eines (Privat-) Gutachtens, das einen wirtschaftlichen Totalschaden ausweist, den (Netto-) Wiederbeschaffungsaufwand fiktiv ab, gilt es zu beachten, dass sowohl der Wiederbeschaffungs- als auch der Restwert von Vorschäden beeinflusst sein können. Grundsätzlich vermag im Fall von Vorschäden der Geschädigte mit d...

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