Entscheidungsstichwort (Thema)
Schmerzensgeldbemessung nach alsbaldigem Tod der Geschädigten infolge einer vorsätzlichen gefährlichen Körperverletzung
Leitsatz (amtlich)
Bei einer vorsätzlich begangenen gefährlichen Körperverletzung, die zum Tode der Geschädigten führt, tritt bei der Bemessung des Schmerzensgeldes die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes hinter dessen Genugtuungsfunktion zurück. Nach den Umständen des Einzelfalls kann deshalb ein Schmerzensgeld von EUR 50.000 auch dann angemessen sein, wenn die Geschädigte die Verletzungshandlung lediglich für einen kurzen Zeitraum (hier ca. 30 Minuten) überlebt, sie jedoch die ihr zugefügten schweren Verletzungen und Schmerzen bewusst und in Todesangst wahrnimmt.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1-2, § 253 Abs. 2, § 1922 Abs. 1; StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5; ZPO § 114 S. 1
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 1 O 1836/09) |
Tenor
Der Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin ist die Mutter und Alleinerbin der im Jahre 1977 geborenen K., die in der Nacht vom 25.11. auf den 26.11.2006 vom Beklagten erwürgt wurde.
Der Beklagte und die Tochter der Klägerin unterhielten seit längerer Zeit eine Beziehung. Aufgrund der Alkoholsucht des Beklagten kam es mehrfach zu Trennungen und anschließenden Versöhnungen. Am Tattag waren der Beklagte und die Tochter der Klägerin zunächst auf einer Familienfeier des Beklagten und verbrachten anschließend den Abend in der Wohnung der Tochter der Klägerin. Wegen seines Alkoholkonsums war der Beklagte mit der Tochter der Klägerin in Streit geraten, in dessen Verlauf sie ihre Beziehung mit dem Beklagten beendete und ihn der Wohnung verwies. Der Beklagte schlug daraufhin mehrfach auf die Tochter der Klägerin ein und würgte sie. Außerdem fügte er seinem Opfer schwere Afterverletzungen zu. Die Tochter der Klägerin verstarb an den Verletzungen.
Der Beklagte wurde in dem Strafverfahren vom LG Bremen durch Urteil vom 3.8.2007 (Az. [...]) wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung unter Berücksichtigung verminderter Schuldfähigkeit zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Außerdem wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Wegen der Einzelheiten wird auf das vorgenannte Strafurteil Bezug genommen.
Die Klägerin hat im vorliegenden Rechtsstreit erstinstanzlich Schmerzensgeld aus eigenem und übergegangenem Recht sowie entgangene Zuwendungen von ihrer Tochter gegen den Beklagten geltend gemacht.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld für die Ermordung ihrer Tochter und die gefährliche Körperverletzung, mindestens aber EUR 50.000,00, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.10.2009 sowie weitere EUR 9.000 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.10.2009 zu zahlen. Außerdem hat sie beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie beginnend mit dem Monat November 2009 einen monatlichen Betrag i.H.v. EUR 250 zu entrichten.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat behauptet, die Tochter der Klägerin habe das Bewusstsein nach dem ersten Würgeangriff nicht wiedererlangt. Der Tod sei durch die mit dem Würgen verbundene Unterbrechung der Blutzufuhr zum Gehirn des Opfers sofort eingetreten. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld bestehe deshalb nicht. Die zugefügte Afterverletzung sei postmortal entstanden.
Das LG hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Sachverständigen Dr. C. und Dr. H. in der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2011. Außerdem waren die Akten des oben genannten Strafverfahrens beigezogen.
Durch Urteil vom 21.12.2011 hat das LG den Beklagten verurteilt, an die Klägerin aus übergegangenem Recht gem. §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2, 253 Abs. 2, 1922 Abs. 1 BGB, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ein Schmerzensgeld i.H.v. EUR 50.000 nebst beantragter Zinsen zu zahlen. Die weiter gehende Klage wurde abgewiesen. Zur Begründung der Verurteilung hat das LG ausgeführt, dass der Beklagte der Tochter der Klägerin vorsätzlich Verletzungen zugefügt habe, aufgrund derer die Tochter der Klägerin verstorben sei. Zwar sei zu beachten, dass nach dem Gesetzeswortlaut nur die Körper- und Gesundheitsverletzung, nicht aber die Vernichtung des Lebens als solche Schmerzensgeldansprüche auslösen könne. Nach den sachverständigen Ausführungen stehe aber fest, dass die Tochter der Klägerin nach dem ersten Würgeangriff das Bewusstsein wiedererlangt habe. Sie sei für einen nennenswerten Zeitraum bei vollem Bewusstsein gewesen und habe die ihr zugefügten Verletzungen - insbesondere auch die schwere Afterverletzung - vollständig wahrgenommen.
Für die Bemessung des Schmerzensgeldes sei ausschlaggebend, dass die Tochter der Klägerin nach dem Würgeangriff nicht nur starke Schmerzen und erhebliche Verletzungen durch den Beklagten erlitten, sondern insbes...