Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Nebenklagebefugnis nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO eines erst nach Adoption des Geschädigten durch Dritte geborenen leiblichen Geschwisterteils des Geschädigten. Strafprozessrecht, Nebenklage. Adoption. Erlöschen von Verwandtschaftsverhältnissen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger steht den in § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO genannten Personen nur dann zu, wenn das jeweilige dort benannte Angehörigenverhältnis im Zeitpunkt des Verfahrens noch besteht bzw. bis zur Tötung des Geschädigten bestand.
2. § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO begründet keine Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger bei einem lediglich leiblichen Geschwisterverhältnis, wenn aufgrund der Aufhebung der bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse infolge einer Adoption nach § 1755 BGB im rechtlichen Sinne ein Verwandtschaftsverhältnis des leiblichen Geschwisterteils zum Geschädigten nicht bestand.
Normenkette
StPO § 395 Abs. 2 Nr. 1; BGB § 1755; GG Art. 3, 6
Verfahrensgang
LG Bremen (Entscheidung vom 09.03.2023; Aktenzeichen 21 Ks 271 Js 900044/21 (1/22) |
Tenor
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 11.03.2023 gegen den Beschluss der Strafkammer 21 des Landgerichts Bremen vom 09.03.2023 wird auf ihre Kosten als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
I.
Gegen die Angeklagten wird vor dem Landgericht Bremen ein Strafverfahren wegen des Tatvorwurfs des Mordes geführt. Den Angeklagten wird nach der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bremen vom 29.12.2021 zur Last gelegt, am 22.04.2020 im bewussten und gewollten Zusammenwirken und aufgrund eines gemeinsamen Tatplanes aus Habgier den Geschädigten ... getötet zu haben.
Bereits mit Schreiben vom 14.12.2021 hatte der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin im Ermittlungsverfahren in dieser Sache gegenüber der Staatsanwaltschaft Bremen die Vertretung seiner Mandantin angezeigt und mitgeteilt, dass sie sich dem Verfahren als Nebenklägerin anschließen möchte. Die im Jahr 1993 geborene Mandantin sei die Halbschwester des im Jahre 1973 geborenen Geschädigten und beide hätten denselben biologischen Vater, der Geschädigte sei aber bereits in jungen Jahren in eine andere Familie gegeben und schließlich vor seinem 18. Lebensjahr adoptiert worden. Mit Beschluss vom 15.12.2022 ließ die Strafkammer 21 (Schwurgericht I) des Landgerichts Bremen die Anklage der Staatsanwaltschaft Bremen vom 29.12.2021 zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren, zugleich wurde die Beschwerdeführerin als Nebenklägerin zugelassen und ihr Verfahrensbevollmächtigter als Beistand nach § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO beigeordnet. Die Hauptverhandlung hat am 08.02.2023 begonnen und dauert derzeit an. Auf Antrag der Verteidigung widerrief die Kammer mit Beschluss vom 09.03.2023 die Zulassung der Beschwerdeführerin als Nebenklägerin mit der Begründung, dass ihr wegen der vor ihrer Geburt erfolgten Adoption des Geschädigten nicht nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO eine Befugnis zum Anschluss als Nebenklägerin zustehe, und hob die Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten als Beistand auf.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde vom 11.03.2023, der die Kammer mit Beschluss vom 15.03.2023 nicht abgeholfen hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat am 22.03.2023 Stellung genommen und beantragt, die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 11.03.2023 als unbegründet zu verwerfen. Die Beschwerdeführerin hat mit Schriftsatz vom 04.04.2023 weiter Stellung genommen.
II.
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 11.03.2023 gegen den Beschluss der Strafkammer 21 (Schwurgericht I) des Landgerichts Bremen vom 09.03.2023 ist statthaft nach § 304 Abs. 1 StPO und dieser Beschluss ist nicht nach § 305 StPO oder § 396 Abs. 2 S. 2 2. HS. StPO der Anfechtung entzogen. Die Beschwerde ist formgerecht eingelegt nach § 306 Abs. 1 StPO und wegen der sich aus dem angefochtenen Beschluss ergebenden Beschwer für die Beschwerdeführerin auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerde erweist sich aber als unbegründet, da die Kammer mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht die Zulassung der Beschwerdeführerin als Nebenklägerin widerrufen und die Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten als Beistand aufgehoben hat.
1. Die Voraussetzungen für den Anschluss der Beschwerdeführerin als Nebenklägerin nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO waren vorliegend nicht gegeben. Die Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger steht den in dieser Norm genannten Personen nur dann zu, wenn das jeweilige dort benannte Angehörigenverhältnis im Zeitpunkt des Verfahrens noch besteht (siehe unter a.); bei der erst nach der Adoption des Geschädigten geborenen Beschwerdeführerin war ein Geschwisterverhältnis im Rechtssinne zum Geschädigten dagegen niemals gegeben (siehe unter b.) und § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO begründet keine Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger bei einem lediglich leiblichen Geschwisterverhältnis, wenn aufgrund der Wirkung der Adoption nach § 1755 BGB im rechtlichen Sinne ein Verwandtschaftsverhältnis des leiblichen Gesc...