Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit des Öffnens von Verteidigerpost

 

Leitsatz (redaktionell)

Auch wenn ein als Verteidigerpost gekennzeichnetes Schreiben an einen Untersuchungsgefangenen eine aus mehreren Rechtsanwälten bestehende Sozietät als Absender ausweist und nicht klar ist, ob das Schreiben von dem bevollmächtigten Verteidiger verfasst und unterzeichnet ist, ist es gleichwohl unzulässig, dieses zum Zwecke der Prüfung zu öffnen und die Unterschrift zu kontrollieren.

 

Verfahrensgang

LG Bremen (Beschluss vom 27.02.2006; Aktenzeichen 42 KLs 840 Js 12451/05)

 

Gründe

Am 07.12.2005 schickte Rechtsanwalt M. als bevollmächtigter Verteidiger des Beschuldigten ... einen als Verteidigerpost gekennzeichneten Brief. Der Absenderstempel führte die sechs Rechtsanwälte J. auf. Der Brief wurde durch die JVA der Briefkontrolle durch das Landgericht zugeleitet; nicht eindeutig ersichtlich war, ob er von dem Verteidiger M, abgesandt war. Zum Zwecke dieser Feststellung wurde der Brief sodann durch den Vorsitzenden der Großen Strafkammer V als Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bremen geöffnet, der sich, ohne von dem Inhalt Kenntnis zu nehmen, von der Person des Absenders auf diese Weise überzeugte.

Der Verteidiger hat am 05.01.2006 u.a. beantragt, festzustellen, dass die Öffnung des an den Beschuldigten als "Verteidigerpost" gerichteten Briefes vom 07.12.2005 rechtswidrig gewesen ist. Der Vorsitzende der Großen Strafkammer V als Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bremen hat diesen Antrag als Beschwerde behandelt und diese mit Beschluss vom 27.02.2006 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Verteidigers vom 30.03.2006, die sich als begründet erweist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 18.04.2006 beantragt, den Beschluss vom 27.02.2006 aufzuheben und die Rechtswidrigkeit der Öffnung des Briefes vom 07.12.2005 festzustellen. Sie hat dazu wie folgt Stellung genommen:

"Die Beschwerde ist statthaft (§ 304 Abs. 1 StPO) und formgerecht eingelegt (§ 306 Abs. 1 StPO). Es handelt sich bei dem angefochtenen Beschluss nicht um eine der weiteren Beschwerde nicht mehr zugängliche Beschwerdeentscheidung, auch wenn nach ihrem Tenor damit über eine Beschwerde des Verteidigers M. entschieden wurde. Vielmehr erging der Beschluss auf einen Antrag des Verteidigers vom 05.01.2006 (VI 23/25), "festzustellen, dass die Nichtaushändigung und die Öffnung des an Herrn ... als "Verteidigerpost" gerichteten Briefes vom 07.12.2005, eingegangen bei der JVA Bremen am 08.12.2005, rechtswidrig gewesen ist". Diesen Feststellungsantrag hat der Vorsitzende der Großen Strafkammer V als Wirtschaftsstrafkammer analog § 28 Abs. 1 Satz 4 EGGVG behandelt. Der Antrag beruhte ersichtlich auf der fehlerhaften Annahme des Rechtsanwalts M., sein Brief vom 07.12.2005 sei in der JVA Bremen geöffnet worden und nicht vom Kammervorsitzenden, der andernfalls nicht über die Rechtmäßigkeit seiner eigenen Handlung hätte befinden dürfen. Nunmehr bleibt Rechtsanwalt M. keine andere Möglichkeit, um eine Überprüfung durch den bei Kenntnis des tatsächlichen Sachverhalts wohl von vornherein angerufenen Strafsenat zu erreichen, als sich gegen den Beschluss vom 27.02.2006 zu beschweren. Da es sich um seine eigene Verteidigerpost handelte, ist er selbst beschwert. Die Zulässigkeit der Beschwerde scheitert auch nicht an der Erledigung der beanstandeten Brieföffnung, weil Art. 19 Abs. 4 GG es in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe gebietet, die gerichtliche Überprüfung einer erledigten Maßnahme zu ermöglichen, wenn sich die Belastung durch die Maßnahme nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren kaum erlangen kann (Meyer/Goßner, StPO, 48. Aufl., vor § 296 Rdn. 18a). Im vorliegenden Fall ist das Grundrecht des Angeklagten wund das seines Verteidigers aus Art. 10 GG i.V.m. § 148 Abs. 1 StPO tangiert. Ein Feststellungsinteresse ergibt sich zudem aus der bestehenden Wiederholungsgefahr (vgl. OLG Frankfurt/M., StV 2005, 228).

Nach § 148 Abs. 1 StPO ist dem Beschuldigten, auch wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet, schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet. Zielsetzung der Vorschrift ist die "völlig freie Verteidigung", eine Verteidigung, die von jeder Behinderung oder Erschwerung freigestellt und in deren Rahmen der Anwalt wegen seiner Integrität jeder Beschränkung enthoben ist (BGHSt 27, 260, 262). Außer in den Fällen des § 142 Abs. 2 StPO muss sich die Kontrolle des Schriftverkehrs zwischen Beschuldigtem und seinem Verteidiger darauf beschränken, ob es sich nach den äußeren Merkmalen (Vollmacht, Kennzeichnung als Verteidigerpost, Absenderidentität) um Bestandteile des Verteidigerverkehrs handelt (OLG Karlsruhe, NStZ 1986, 332, 333; OLG Frankfurt/M., StV 2005, 228; LR-Lüderssen, StPO, 25. Aufl., § 148 Rdn. 18; Schlothauer/Weider, Untersuchungsha...

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