Leitsatz (amtlich)
Wird im Berufungsverfahren der Antrag auf Zurückweisung der Berufung vor Zustellung der Berufungsbegründung angekündigt und wird die Berufung zurückgenommen, ohne dass sich der Berufungsbeklagte inhaltlich mit der Berufungsbegründung auseinandergesetzt hat, fällt grundsätzlich nur eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 RVG-VV und nicht eine 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV an.
Verfahrensgang
LG Bremen (Beschluss vom 21.07.2008; Aktenzeichen 6 O 1435/06) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Bremen vom 21.7.2008 dahin gehend abgeändert, als die zu erstattenden Kosten der Berufung EUR 514,68 betragen.
Gründe
I. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 5.9.2007 gegen das Urteil des LG Bremen vom 19.7.2008 Berufung eingelegt. Am 9.10.2007 zeigte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten an, dass er den Beklagten auch im Berufungsverfahren vertritt und kündigte den Antrag an, die Berufung zurückzuweisen. Nach Eingang der Berufungsbegründung am 6.11.2007 hat der Senat durch Beschluss vom 18.2.2008 gem. § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen. Daraufhin hat der Beklagte die Berufung zurückgenommen.
Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat beantragt, die Kosten gem. § 104 ZPO mit einer 1,6-Verfahrensgebühr der Nr. 3200 RVG-VV festzusetzen. Das LG hat dem Antrag stattgegeben. Mit der sofortigen Beschwerde begehrt der Kläger, dass lediglich eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 RVG-VV festgesetzt wird.
II. Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Entgegen der Auffassung des LG ist im Berufungsverfahren für den Beklagten nicht eine 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV, sondern lediglich eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 RVG-VV zu erstatten.
Bei der Zuerkennung einer 1,1-fachen Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 RVG-VV ist davon auszugehen, dass der Beklagte nach Einlegung der Berufung durch den Kläger anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen konnte und nach Rücknahme der Berufung grundsätzlich Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten beanspruchen kann.
Von der grundsätzlichen Anerkennung der Notwendigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts ist aber die Frage zu unterscheiden, welche Maßnahmen der bestellte Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung für erforderlich halten darf, insbesondere ob die erst bei Stellung eines Sachantrags nach Nr. 3200, 3201 RVG-VV anfallende volle Verfahrensgebühr auch dann in dieser Höhe erstattungsfähig ist, wenn der Antrag gestellt wird, bevor feststeht, dass das Rechtsmittel tatsächlich durchgeführt wird. Dies ist nach der Rechtsprechung des BGH, der der Senat folgt, zu verneinen (vgl. BGH, NJW 2007, 3723 m.w.N.; Geisler, jurisPR-BGHZivilR 6/2008 Anm. 6).
Zwar kommt es für die Entstehung einer Gebühr nicht darauf an, ob die den gesetzlichen Gebührentatbestand ausfüllenden Maßnahmen erforderlich waren. Die Erstattungsfähigkeit nach § 91 ZPO ist jedoch grundsätzlich von der Notwendigkeit der Maßnahmen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung abhängig. Die Erstattung der aufgewandten Kosten kann eine Partei nur erwarten, soweit sie der ihr aus dem Prozessrechtsverhältnis obliegenden Pflicht nachgekommen ist, die Kosten möglichst niedrig zu halten. Insoweit stellt die oben zitierte Rechtsprechung des BGH darauf ab, dass im Normalfall kein Anlass für den Berufungsgegner besteht, mit der Verteidigungsanzeige seines Prozessbevollmächtigten zugleich den Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung anzukündigen (BGH, a.a.O.). Der Berufungsbeklagte kann sich nämlich erst nach Vorliegen der Berufungsbegründung mit Inhalt und Umfang des Angriffs auf das erstinstanzliche Urteil sachlich auseinandersetzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern (BGH, a.a.O., m.w.N.).
Hier ist die Ankündigung des Antrags auf Zurückweisung der Berufung durch den Beklagten erfolgt, bevor ihm die Berufungsbegründung zugestellt worden ist. Er hat sich auch nach der Zustellung der Berufungsbegründung bis zur Rücknahme der Berufung nicht schriftsätzlich mit der Berufungsbegründung auseinandergesetzt. Er kann deshalb lediglich die 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 RVG-VV und nicht die 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV erstattet verlangen.
Fundstellen
Haufe-Index 2033906 |
OLGR-Nord 2008, 880 |