Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Darlegungs- und Beweisanforderungen im Verkehrsunfallprozess beim Vorliegen von Vorschäden am Fahrzeug des Geschädigten
Leitsatz (amtlich)
1. Wird bei der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen der Beschädigung eines Fahrzeugs durch einen Verkehrsunfall seitens des Schädigers oder seiner Versicherung das Bestehen von überlagerten Vorschäden eingewandt, so obliegt dem Geschädigten die Last der Darlegung und des Nachweises nach dem Maßstab des § 287 ZPO, dass die Beschädigung seines Pkw unfallbedingt ist und nicht als Vorschaden bereits vor dem Unfall vorhanden war.
2. Dieser Darlegungs- und Beweislast kann der Geschädigte zum einen dadurch genügen, dass er darlegt und nachweist, dass vorhandene Vorschäden fachgerecht repariert worden sind. Hierzu genügt es, wenn der Geschädigte die wesentlichen Parameter der Reparatur vorträgt und unter Beweis stellt, während Fragen des Vorhandenseins von Rechnungen oder der Ausführung der Einzelschritte der Reparatur in Übereinstimmung mit gutachterlichen Vorgaben im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden können.
3. In Bezug auf vor der Besitzzeit des Geschädigten erfolgte Vorschäden kann der Geschädigte seiner Darlegungs- und Beweislast bereits durch eine unter Beweis gestellte Behauptung genügen, dass der Vorschaden beseitigt worden sei, auch wenn der Geschädigte hiervon keine genaue Kenntnis hat und lediglich vermutet, dass eine fachgerechte Reparatur erfolgt sei.
4. Zum anderen kann der Geschädigte, wenn er nicht die Reparatur der Vorschäden darlegen kann, dem Einwand des Vorhandenseins von Vorschäden dadurch begegnen, dass er nach dem Maßstab des § 287 ZPO über die bloße Unfallkompatibilität hinausgehend nachweist, dass bestimmte abgrenzbare Beschädigungen durch das streitgegenständliche Unfallereignis verursacht worden sind.
5. Kann auch ein solcher Nachweis der Verursachung bestimmter abgrenzbarer Beschädigungen durch den streitgegenständlichen Unfall nicht geführt werden, dann kommt es bei genügenden Anhaltspunkten in Form hinreichend greifbarer Tatsachen in Betracht, das Vorliegen von Vorschäden im Wege der Schadensschätzung nach § 287 ZPO durch einen Abschlag bei der Schadensbemessung zu berücksichtigen.
6. Das Vorhandensein von Vorschäden steht der Ersatzfähigkeit der Kosten eines vom Geschädigten eingeholten vorgerichtlichen Sachverständigengutachtens nur dann entgegen, wenn dieses Gutachten aus vom Geschädigten zu verantwortenden Gründen nicht verwertbar ist, z.B. wenn der Geschädigte ihm bekannte Vorschäden nicht offengelegt hat, so dass diese deswegen im Gutachten nicht berücksichtigt werden konnten.
Normenkette
BGB § 249; StVG §§ 7, 17; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 6 O 1484/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers und Berufungsklägers wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 11.11.2019 (Az. 6 O 1484/18) abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 12.451,33 nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 29.05.2018 sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten i.H.v. EUR 490,99 nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 28.09.2018 zu zahlen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Gegenstandswert der Berufung wird auf EUR 12.451,33 festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.
Bei dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall, der sich am 03.05.2018 in Bremerhaven ereignete, wurde der Pkw Audi A6 des Klägers durch eine linksseitige Kollision mit einem in Polen zugelassenen und dort versicherten Lkw beschädigt. Der Unfallhergang und die alleinige Einstandspflicht des Beklagten als der für Deutschland zuständigen Einrichtung zur Abwicklung von Autohaftpflichtfällen im Rahmen des internationalen Grüne Karte Systems steht zwischen den Parteien nicht im Streit.
Der Kläger hat zur Feststellung der Unfallschäden ein Privat-Sachverständigengutachten der ... vom 16.05.2018 eingeholt, welches einen Reparaturaufwand für das Fahrzeug des Klägers i.H.v. EUR 11.161,95 netto ausweist. Nach den Angaben im Gutachten lagen beim Fahrzeug des Klägers Vor- und Altschäden vor, namentlich ungleichmäßige Spaltmaße am Stoßfänger vorne und am Stoßfänger hinten sowie ein erkennbarer Spachtelauftrag im vorderen Schadenbereich der Fahrertür.
Mit Schreiben vom 18.05.2018 forderten die späteren Prozessbevollmächtigten des Klägers den Beklagten fruchtlos zur Zahlung des Betrags von EUR 11.161,95 zuzüglich der Kosten des Sachverständigengutachtens i.H.v. EUR 1.264,38 sowie einer Auslagenpauschale von EUR 25,- binnen zehn Tagen auf.
Der Kläger behauptet, sein Pkw sei durch den Unfall beschädigt worden in den Bereichen Vorderachse, vorderer linker Kotflügel, Fahrertür, hintere linke Tür, hinteres linkes Seitenteil sowie vorderes linkes Rad, und der Reparaturaufwand entspreche dem im Gutach...