Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der Öffentlichkeit des Verfahrens
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Zulässigkeit der Rüge einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes bedarf es nicht der Darlegung, dass sich tatsächlich jemand vom Besuch der Sitzung hat abhalten lassen.
2. Der Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO greift nur ein, wenn das Gericht für die Zugangsbeschränkung verantwortlich ist.
Normenkette
StPO § 338 Nr. 6
Verfahrensgang
AG Gifhorn (Entscheidung vom 09.01.2012) |
Tenor
Das Urteil des Amtsgerichts Gifhorn vom 09.01.2012 wird aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Gifhorn zurückverwiesen.
Gründe
I. Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen wegen einer Unterschreitung des erforderlichen Mindestabstandes zu einer Geldbuße von 160 € und setzte ein Fahrverbot von einem Monat fest. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 25.02.2010 die Bundesautobahn 2 mit einem Pkw. Im Bereich Kilometer 172,95 betrug sein Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 121 km/h 14 m. Gemessen wurde dies mit einem Verkehrskontrollgerät des Herstellers VIDIT, VKS 3.0, Softwareversion 3.1. Daraus ergab sich, dass der Betroffene mit gleichbleibender Geschwindigkeit und gleichem Abstand über eine Strecke von nahezu 500 m hinter einem anderen Fahrzeug hergefahren war, wobei dieses vorausfahrende Fahrzeug seine Geschwindigkeit nicht vermindert hatte.
II. Gegen diese Verurteilung richtet sich die u. a. mit der Rüge einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes begründete Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Mit dieser Rüge hat sie zumindest vorläufig Erfolg.
Der Betroffene trägt zur Begründung seiner Rüge vor, während der Hauptverhandlung beim Amtsgericht habe vor dem Sitzungssaal ein Schild "Nicht öffentlich" aufgeleuchtet. Sein Verteidiger habe die Richterin vor Beginn der Hauptverhandlung darauf hingewiesen, gleichwohl sei verhandelt worden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich jemand von der Teilnahme an der Sitzung durch dieses Schild habe abhalten lassen. Der Betroffene rügt deshalb die Verletzung von § 169 GVG i. V. m. § 338 Nr. 6 StPO. Dazu hat die zuständige Bußgeldrichterin am 09.01.2012 zu den Akten vermerkt, das Schild "Nicht öffentlich", das vor dem Sitzungssaal neben dem Terminplan angebracht sei, habe während der Hauptverhandlung in dieser Sache neben der Saaltür aufgeleuchtet. Aus dem Terminplan habe sich ergeben, dass es sich um eine öffentliche Verhandlung gehandelt habe. Zu Verhandlungsbeginn habe sich kein Publikum auf dem Flur befunden. In einer vom Senat eingeholten dienstlichen Erklärung teilt die Richterin mit, es treffe zu, dass der Verteidiger beim Betreten des Sitzungssaales angemerkt habe, neben der Saaltür stehe "Nicht öffentlich" und deshalb habe er sich kaum getraut, den Saal zu betreten. Die Richterin sei davon ausgegangen, dass das Schild noch wegen einer vor dem Termin im selben Sitzungssaal verhandelten Jugendstrafsache geleuchtet habe und dem Verteidiger erklärt, in der vorliegenden Sache handele es sich um eine öffentliche Sitzung und diese Bußgeldsache werde lediglich im Anschluss an die nicht öffentliche Jugendsache verhandelt. Nach Ende der Sitzung habe sie festgestellt, dass die Anzeige "Nicht öffentlich" noch immer aufleuchtete.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen. Sie ist der Auffassung, die Verfahrensrüge sei nicht zulässig erhoben, weil ihr nicht zu entnehmen sei, dass sich tatsächlich jemand von der Teilnahme an der Hauptverhandlung habe abhalten lassen. Die Rüge sei aber auch unbegründet, weil die Öffentlichkeit der Sitzung nicht beeinträchtigt gewesen sei. Der vor dem Sitzungssaal aushängende Terminplan habe die Hauptverhandlung als öffentlich ausgewiesen und der irreführende Eindruck durch das Leuchtschild "Nicht öffentlich" habe durch eine einfache Erkundigung ausgeräumt werden können. Eine solche Erkundigung sei jedem zumutbar, der eine Gerichtsverhandlung besuchen wolle.
III. Dem schließt sich der Senat nicht an. Das angefochtene Urteil war deshalb wegen einer Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens (§ 338 Nr. 6 StPO) aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.
Die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes hat der Betroffene in zulässiger Weise gerügt. Er hat dargelegt, dass das Schild "Nicht öffentlich" während der gesamten Sitzung aufleuchtete und er hat auch dargelegt, dass sein Verteidiger die Richterin auf diesen Umstand hingewiesen hat, die daraufhin aber keine Sorge dafür getragen habe, die Leuchtschrift abzuschalten. Damit hat er auch die Verantwortlichkeit des Gerichts für die Beschränkung der Öffentlichkeit dargetan, denn der Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO greift nur ein, wenn dem Gericht die Beschränkung der Öffentlichkeit bekannt war und es die Beschränkung ...