Entscheidungsstichwort (Thema)
Sofortige Beschwerde gegen Zurückweisung eines Befangenheitsantrags im Strafvollstreckungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO ist bei einer sofortigen Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Ablehnung eines Mitglieds der Strafvollstreckungskammer im Verfahren über die Strafrestaussetzung nicht entsprechend anwendbar (Anschluss OLG München, Beschluss vom 21. September 2020 - 1 Ws 685/20 -, juris; entgegen Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 07. Januar 2019 - 1 Ws 116/18 -, juris).
Normenkette
StGB § 57; StPO § 28 Abs. 2 Sätze 1-2
Verfahrensgang
LG Stade (Entscheidung vom 04.04.2022; Aktenzeichen 14a StVK 96/22) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der Verurteilte verbüßt derzeit eine zweijährige Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Syke vom 26. September 2019 (Az. 4 Ls 11/19) in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Verden 6. Februar 2020 (Az. 5 Ns 100/19) wegen Betruges in 13 Fällen - davon in einem Fall wegen Versuchs - in der Justizvollzugsanstalt B. Zwei Drittel der Strafe sind am 3. Mai 2022 verbüßt. Das Strafende ist auf den 3. Januar 2023 notiert.
Mit Beschluss vom 7. Februar 2022 lehnte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade mit Sitz beim Amtsgericht Bremervörde den Antrag des Verurteilten ab, die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung auszusetzen. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Verurteilten verwarf der Senat mit Beschluss vom 28. Februar 2022 als unbegründet.
Mit Schreiben vom 8. März 2022 beantragte der Verurteilte erneut die Aussetzung der Reststrafe. Zugleich lehnte der Beschwerdeführer in einem weiteren Schreiben vom selben Tag die zuständige Richterin der Strafvollstreckungskammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug er vor, dass diese am 7. Oktober 2021 einen Strafbefehl unterzeichnet habe, mit dem ihm ein in der Haft begangener Diebstahl zur Last gelegt worden sei. Auf seinen Einspruch und mündliche Verhandlung sei er hingegen am 21. Februar 2022 vom Amtsgericht Bremervörde in dieser Sache freigesprochen worden. Die abgelehnte Richterin habe bei ihrer vorangegangenen Entscheidung in dieser Strafvollstreckungssache die Möglichkeit eines Freispruchs gar nicht in Betracht gezogen, sondern bereits das anhängige Verfahren als negativen Umstand in ihrer Prognoseentscheidung zur Frage einer vorzeitigen Entlassung berücksichtigt. Das zeige, dass die Richterin am 7. Februar 2022 nicht unparteiisch entschieden habe und von ihr auch über seinen neuerlichen Antrag keine unbefangene Entscheidung zu erwarten sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Ablehnungsgesuchs wird auf das Schreiben vom 8. März 2022 sowie die ergänzende Stellungnahme vom 15. März 2022 verwiesen.
Die abgelehnte Richterin hat in ihrer dienstlichen Äußerung vom 10. März 2022 bestätigt, den gegen den Verurteilten ergangenen Strafbefehl unterzeichnet zu haben. Die Strafvollstreckungskammer hat den Befangenheitsantrag des Verurteilten mit Beschluss vom 4. April 2022 als unbegründet zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 14. April 2022, die am selben Tage beim Landgericht Stade mit Sitz beim Amtsgericht Bremervörde eingegangen ist.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
1. Die sofortige Beschwerde war aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.
2. Näherer Erörterung bedarf lediglich, ob der Senat derzeit überhaupt zu einer Entscheidung in der Sache berufen war oder ob nicht die sofortige Beschwerde bereits unzulässig ist.
Denn die Rechtsfrage, ob im Strafvollstreckungsverfahren gegen einen ein Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluss die sofortige Beschwerde zulässig ist, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur umstritten (vgl. zuletzt bejahend OLG München, Beschluss vom 21. September 2020 - 1 Ws 685/20 -, juris m.w.N.; verneinend Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 07. Januar 2019 - 1 Ws 116/18 -, juris m.w.N.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. September 2017 - 2 Ws 294/17 -, juris; OLG Braunschweig Beschl. v. 13.7.2012 - Ws 199/12, BeckRS 2012, 24967; verneinend Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Auflage 2021 § 28 Rn. 6a; KK-StPO/Scheuten, 8. Aufl. 2019, StPO § 28 Rn. 5; Siolek in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2016, § 28 Rn. 46; BeckOK StPO/Cirener StPO § 28 Rn. 9.3; bejahend MüKoStPO/Conen/Tsambikakis, 1. Aufl. 2014, StPO § 28 Rn. 17).
Verbreitet wird die Auffassung vertreten, dass die Vorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO im Strafvollstreckungsverfahren entsprechend anzuwenden sei mit der Folge, dass die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nur zusammen mit der Endentscheidung - vorliegend also nur zusammen mit dem noch ausstehenden Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe - angefochten werden kann. Be...