Leitsatz (amtlich)
Bei einem elfjährigen Kind stellt die Notwendigkeit, beim Verlassen der Station einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie einen in üblicher Schalterhöhe angebrachten Türentriegelungsknopf drücken zu müssen, keine genehmigungspflichtige Freiheitsentziehung dar.
Verfahrensgang
AG Hildesheim (Beschluss vom 05.08.2013; Aktenzeichen 38 F 308/13) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Verfahrensbeistands wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Hildesheim vom 5.8.2013 - 38 F 308/13 - aufgehoben. Die Anträge der Kindeseltern auf familiengerichtliche Genehmigung werden zurückgewiesen.
II. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Jeder Beteiligte trägt seine Aufwendungen im Beschwerdeverfahren selbst.
III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Am 24.6.2013 wurde der elfjährige P. von seiner Mutter in das A.-K. in H. gebracht, nachdem er bei bestehenden langjährigen Verhaltensauffälligkeiten in Form einer massiv ausgeprägten Verweigerungshaltung bei niedriger Frustrationstoleranz die Mitarbeit in der Tagesklinik C. zuletzt verweigert hatte. Es kam zu aggressiven Impulsdurchbrüchen, in deren Rahmen P. die Betreuerin geschlagen und getreten hat. Auf Antrag der Kindeseltern genehmigte das AG - Familiengericht - Celle mit Beschl. v. 24.6.2013 - 8 F 8079/13 - die vorläufige Unterbringung von P.
Der vom AG bestellte Verfahrensbeistand beantragte die Aufhebung des Beschlusses im Hinblick darauf, dass die Station offen geführt werde. Dies lehnte das AG Hildesheim, das das Verfahren übernommen hatte, mit Beschl. v. 1.8.2013 - 38 F 108/13 - ab. Auf Antrag der Kindeseltern genehmigte das AG Hildesheim mit Beschluss vom 5.8.2013 die weitere vorläufige Unterbringung von P. Die Anhörung wurde am 7.8.2013 nachgeholt.
Mit der Beschwerde vom 7.8.2013 macht der Verfahrensbeistand geltend, dass die derzeitigen Bedingungen der Station keinen freiheitsentziehenden Charakter hätten.
Der Senat hat durch den beauftragten Richter den richterlichen Augenschein eingenommen und P. persönlich angehört.
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Beschlusses und Zurückweisung der Anträge der Kindeseltern.
Die Voraussetzungen des § 1631b S. 1 BGB sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift bedarf die Unterbringung eines Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, der Genehmigung des Familiengerichts.
Das Tatbestandsmerkmal der "Unterbringung" ist durch die Fremdplatzierung von P. unzweifelhaft erfüllt (vgl. Veith in Bamberger/Roth, BeckOK/BGB, Stand 1.11.2011, Edition 28, § 1631b BGB, Rz. 2; Staudinger/Salgo, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch im Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Neubearbeitung 2007, § 1631b Rz. 11).
Eine Unterbringung eines Kindes ist jedoch nur dann genehmigungspflichtig, wenn sie mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist. Eine Freiheitsentziehung ist dann gegeben, wenn eine Maßnahme einem Menschen umfassend den Gebrauch der persönlichen Freiheiten nimmt, indem sie ihm die Möglichkeit entzieht, seinem natürlichen Willen folgend einen Raum zu verlassen (BVerfGE 10, Seite 302, 309 f.; BGHSt 14, Seite 314, 315 f.; 32, 183, 188 f.). Abzustellen ist daher darauf, ob das Kind die tatsächliche Möglichkeit hat, sich frei zu bewegen und selbst zu entscheiden, wohin es möchte (Hamdan in: jurisPK-BGB, 6. Aufl. 2012, § 1631b Rz. 3). Maßgebend ist dabei lediglich der eingetretene Erfolg, nicht das eingesetzte Mittel oder der Zweck der Maßnahme (OLG Hamm FamRZ 1962, Seite 302, 309 f.).
In Betracht kommen in erster Linie bauliche und raumgestaltende Maßnahmen wie Gitter, Zäune, Mauern, gesicherte Türen und Fenster sowie die Überwachungs- und Kontrollsysteme zur Verhinderung des Verlassens einer Einrichtung (Staudinger/Salgo, § 1631b Rz. 12). Bei geschlossenen Anstalten oder geschlossenen Abteilungen solcher Einrichtungen liegt regelmäßig eine Freiheitsentziehung vor. Aber auch in einer offenen Einrichtung kann das Festhalten auf einem bestimmten beschränkten Raum eine genehmigungspflichtige Freiheitsentziehung darstellen (BT-Drucks. 8/2788, Seite 51).
Nicht genehmigungsbedürftig sind dagegen typische Freiheitsbeschränkungen partieller Art, wie sie zwangsläufig mit der Unterbringung von Minderjährigen in Einrichtungen einhergehen, insbesondere begrenzte Ausgangszeiten, Ausgehverbote, Hausarbeitsstunden oder auch Stuben- bzw. Hausarrest (BT-Drucks. 8/2788, Seite 38). Gleiches gilt, wenn Minderjährige die Einrichtung nicht jederzeit verlassen können, z.B. weil das Haus nachts abgeschlossen wird (Staudinger/Salgo, § 1631b Rz. 13).
Bei der Abgrenzung zwischen der genehmigungsbedürftigen Freiheitsentziehung und der genehmigungsfreien Freiheitsbeschränkung verschiebt sich die Grenze mit zunehmendem Kindesalter, ohne dass es bestimmte, feste Altersgrenzen gibt (Huber in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2012, § 1631b Rz. 5; Veith, § 1631b Rz. 3). So kann sich eine Maßnahme für ein Kleinkind als Freiheitsbeschränkung darstellen, für einen Jugendlichen jedoch eine...