Entscheidungsstichwort (Thema)

Gemischte Schenkung bei Grundstücksübertragung mit Vereinbarung von Wohnrecht und Pflegeverpflichtung

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Bewertung eines Grundstückübertragungsvertrages, bei dem ungewiss ist, ob und für welche Dauer Pflege und Wohnrecht vom Erwerber zu gewähren sind, ist auf die Verhältnisse bei Vertragsabschluss abzustellen und eine Kapitalisierung mit dem Faktor aus Anlage 9 zu § 14 Bewertungsgesetz vorzunehmen (Urteil des OLG Celle in NJW-RR 2002, 1448 f.). Bei einer davon abweichenden Bewertung würde dem Erwerber, der bewusst eine Verpflichtung mit ungewisser Dauer übernommen hat, im Hinblick auf die Pflichtteilsergänzung das eingegangene Risiko abgenommen, was nicht gerechtfertigt ist, weil bei der Anwendung von § 2325 Abs. 1 BGB "schutzwerte Interessen Dritter berührt werden" (BGH NJW 1995, 1349 f.), die nicht mit dem Argument ausgehöhlt werden dürfen, es sei ein Verlauf denkbar, bei dem der Erwerber eine Gegenleistung erbringen muss, die über den Betrag hinausgeht, der sich aufgrund des maßgeblichen Kapitalisierungsfaktors errechnet (so aber OLG Oldenburg in NJW-RR 1992, 778 f.).

 

Normenkette

BGB §§ 516, 2325, 2329

 

Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Beschluss vom 04.03.2008; Aktenzeichen 8 O 42/08)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird teilweise geändert und das LG angewiesen, den Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers vom 29.1.2008 nicht mit der Begründung zurückzuweisen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, soweit der Antragsteller beantragt, den Beklagten zu verurteilen, zum Zwecke der Befriedigung des dem Antragsteller zustehenden Anspruchs i.H.v. 17.751,56 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.2.2008 die Zwangsvollstreckung in das Grundstück P. straße 11 in V., eingetragen im Grundbuch von V., Blatt 2541, zu dulden.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

Es wird bestimmt, dass die Gebühr zu Nr. 1812 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG nicht zu erheben ist.

 

Gründe

Die sofortige Beschwerde ist überwiegend begründet.

I. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Satz 1 ZPO), soweit der Antragsteller vom Antragsgegner aus § 2329 Abs. 1 Satz 1 BGB Duldung der Zwangsvollstreckung i.H.v. 17.751,56 EUR verlangt. Denn nach dieser Vorschrift kann der Pflichtteilsberechtigte, soweit der Erbe zur Ergänzung des Pflichtteils nicht verpflichtet ist, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks zum Zwecke der Befriedigung wegen des fehlenden Betrages nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern.

1. In entsprechender Anwendung des § 2329 Abs. 1 Satz 2 BGB steht dem Antragsteller dieses Recht zu, da er als Sohn der am 1.6.2006 verstorbenen Erblasserin I. B. pflichtteilsberechtigt ist und er diese aufgrund notariellen Testaments vom 21.10.2003 gemeinsam mit dem Kläger zu 1, einem weiteren Sohn der Erblasserin, zu je ½ beerbt hat, der unstreitige Nachlasswert i.H.v. 9.387,36 EUR aber zur Erfüllung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nicht genügt. Denn bei einem "zur Befriedigung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen nicht ausreichendem Nachlass kann auch der pflichtteilsberechtigte Miterbe in entsprechender Anwendung von § 2329 Abs. 1 S. 2 BGB direkt gegen den Beschenkten vorgehen" (BGHZ 80, 205).

2. Dem Antragsteller steht eine Ergänzung des Pflichtteils nach § 2325 Abs. 1 BGB zu, da der notarielle Übergabevertrag vom 30.7.2002 (Anlage K 2, Bl. 5 - 10 Anlagenband), mit dem die Erblasserin dem Antragsgegner, ihrem Enkelsohn, ihr Alleineigentum an dem oben genannten Grundstück übertragen hat, eine sog. "gemischte" Schenkung enthält, die eine Schenkung i.S.d. § 2325 Abs. 1 BGB ist (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, 67. Aufl., § 2325 Rz. 19 m.w.N.).

a) Dem notariellen Übergabevertrag lässt sich weder eine ausdrückliche Schenkungsabrede der Vertragsparteien noch eine ausdrückliche Erklärung mit dem Inhalt entnehmen, dass die Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrages davon ausgingen, dass nach ihrer maßgeblichen subjektiven Wertung Leistung und Gegenleistung in etwa gleichwertig sind.

b) Auf den subjektiven Tatbestand einer Schenkung, nämlich die Einigkeit der Vertragspartner über die Unentgeltlichkeit, kann allerdings nach der Lebenserfahrung in der Form einer tatsächlichen Vermutung als Beweiserleichterung dann geschlossen werden, wenn zwischen den wirklichen Werten von Leistung und Gegenleistung ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Missverhältnis (auffallend und grob) zum Zeitpunkt der Zuwendung festzustellen ist, wobei der Tatrichter die Werte notfalls auf der Grundlage von § 287 Abs. 2 ZPO zu ermitteln und zu beziffern hat (BGH NJW-RR 1996, 754 f. und NJW 1995, 1349 f. jeweils m.w.N.).

Ein solches Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung ist im vorliegenden Fall anzunehmen, da die Leistung der Erblasserin, dem Beklagten das Alleineigentum...

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