Leitsatz (amtlich)
1. Ist Vorwurf einer Anklage lediglich die Anstiftung zu einer Urkundenfälschung, ist ein späteres Gebrauchmachen der unechten bzw. verfälschten Urkunde durch den Angeklagten der Kognitionspflicht des Gerichts mitunterworfen, wenn es sich um eine einheitliche prozessuale Tat handelt. Um eine solche handelt es sich, wenn der Angeklagte zur Urkundenfälschung in der Absicht des späteren planmäßigen Verwendens der unechten bzw. verfälschten Urkunde angestiftet hat.
2. Liegt eine solche einheitliche prozessuale Tat nicht vor, fehlt es für die Verurteilung wegen Gebrauchmachens einer unechten oder verfälschten Urkunde in dieser Konstellation an einer Verfahrensvoraussetzung.
3. Auch wenn das Revisionsgericht grundsätzlich von Amts wegen das Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen zu prüfen hat, muss in dieser Konstellation die Prüfung, ob eine einheitliche prozessuale Tat und damit auch die Verfahrensvoraussetzung für eine Verurteilung wegen Gebrauchmachens einer unechten bzw. verfälschten Urkunde vorliegt, dem Tatgericht überlassen werden.
Verfahrensgang
LG Stade (Aktenzeichen 900 NBs 100/23) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Stade zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Zeven - Strafrichter - vom 21. März 2023 wurde der Angeklagten zur Last gelegt, im Dezember 2021 die gesondert Verfolgte S. O. zur Urkundenfälschung durch Herstellung zweier unechter Urkunden in Tateinheit angestiftet zu haben, indem sie unter Einschaltung der gemeinsamen Bekannten B.K. S. O. aufforderte, zwei Impfausweise für sich und ihre Tochter E. über in Wahrheit nicht erfolgte Impfungen gegen Covid-19 zu erstellen, die sie in der Folge auch erhielt. Dabei handelte die Angeklagte, um Restriktionen infolge der Eindämmung der Coronapandemie aus dem Wege zu gehen, und ließ zu diesem Zweck in einer Apotheke digitale Impfausweise für sich und ihre Tochter erstellen.
Auf den Einspruch der Angeklagten verurteilte das Amtsgericht Zeven - Strafrichterin - mit Urteil vom 3. Juli 2023 sie wegen tateinheitlich begangener zweifacher Anstiftung zur Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen.
Auf die Berufung der Angeklagten hat die 9. kleine Strafkammer des Landgerichts Stade mit Urteil vom 4. Juni 2024 das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und neu gefasst; es hat die Angeklagte wegen Urkundenfälschung (Gebrauchen unechter Urkunden) in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 25 € verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts erhielt die Angeklagte zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 2. Dezember 2021 und dem 13. Mai 2022 zwei "totalgefälschte Impfpässe" auf ihren Namen sowie auf den Namen ihrer Tochter E. In beiden Impfpässen waren jeweils zwei Impfungen gegen das Corona-Virus im Impfzentrum B. S. am 27. August und 29. September 2021 mit dem Impfstoff C. (Chargennummern ... und ...) eingetragen, die tatsächlich nicht erfolgt waren. Die Angeklagte legte die Impfausweise in einer Apotheke in H. im P.-Center vor und erhielt so zwei "Digitale Covid-Zertifikate der EU".
Feststellungen dazu, von wem die Angeklagte die gefälschten Impfpässe erhalten hat und ob sie die gesondert Verfolgten K. und . zur Urkundenfälschung angestiftet hat, hat das Landgericht ausdrücklich nicht getroffen.
Rechtlich hat das Landgericht das festgestellte Handeln als Urkundenfälschung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen gemäß §§ 267 Abs. 1, 52 StGB gewertet und dabei in der Vorlage der Impfausweise in der Apotheke im P.-Center zum Erhalt der Impfzertifikate ein Gebrauchen unechter Urkunden im Rechtsverkehr gesehen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit der Revision, mit der sie Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts begehrt. Sie macht der Sache nach das Vorliegen des Verfahrenshindernisses einer fehlenden Anklage geltend und trägt vor, der abgeurteilte Sachverhalt sei von dem ursprünglichen Strafbefehl nicht erfasst, weil mit diesem lediglich der Vorwurf der Anstiftung zur Urkundenfälschung erhoben worden sei. Daneben erhebt die Angeklagte die Verfahrensrüge der fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags und mit Einzelausführungen die Sachrüge.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben, das Verfahren einzustellen, soweit die Angeklagte wegen Urkundenfälschung durch Gebrauchen gefälschter Urkunden in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen verurteilt worden ist und im Übrigen die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Sie ist der Auffassung, hinsichtlich der abgeurteilten Tat des Gebrauchens unechter Urkunden fehle es an einer wirksamen Anklage, weil im Strafbe...