Entscheidungsstichwort (Thema)
Fürsorgepflicht des unzuständigen Gerichts
Leitsatz (amtlich)
Wird in einem Streit über Ansprüche, die von einer Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hat, Berufung gegen ein Urteil des AG beim wegen § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG unzuständigen LG eingelegt, ist keine Wiedereinsetzung zu gewähren. Der Berufungskläger kann seinen Wiedereinsetzungsantrag nicht darauf stützen, das LG habe die Akten fristwahrend dem OLG übersenden müssen, wenn die Berufung als Blattberufung erst am vorletzten Tag der Berufungsfrist beim – bis dahin mit der Sache nicht befassten – LG einging; BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173, steht dem nicht entgegen.
Verfahrensgang
AG Gifhorn (Urteil vom 30.10.2003; Aktenzeichen 13 C 1193/02) |
Tenor
1. Der Antrag des Beklagten vom 6.2.2004 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Beklagten gegen das am 30.10.2003 verkündete Urteil des AG Gifhorn – 13 C 1193/02 – wird verworfen.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Gründe
I. Die Klägerin, eine Bank mit Sitz in Innsbruck, macht den Ausgleich eines Minussaldos auf einem Girokonto geltend. Das AG hat der Klage stattgegeben.
Das Urteil wurde dem Beklagtenvertreter am 3.11.2003 zugestellt. Der Berufungsschriftsatz ging als Fax am Morgen des 2.12.2003 beim LG Hildesheim ein. Mit Verfügung der Geschäftsstelle vom gleichen Tag wurden die Akten der ersten Instanz erfordert. Das Original des Berufungsschriftsatzes ging am 3.12.2003 beim LG Hildesheim ein. Es wurde am gleichen Tag verfügt, die Berufung an den Gegner zuzustellen. Weiter wurde eine Zweiwochenfrist mit dem Zusatz „Akten” notiert. Die Akten gingen am 10.12.2003 beim LG ein. Mit Verfügung vom 11.12.2003 wurde durch den Vorsitzenden der 7. Zivilkammer des LG Hildesheim Termin bestimmt. Mit Beschluss vom 21.1.2004 erklärte sich das LG Hildesheim für unzuständig und verwies den Rechtsstreit unter Hinweis auf § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG an das OLG Celle. Der Beklagte wurde sodann mit Verfügung vom 27.1.2004 auf die nicht fristgerechte Einlegung der Berufung beim OLG hingewiesen. Mit Schriftsatz vom 6.2.2004 beantragte der Beklagtenvertreter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Die Berufung sei so zeitig eingereicht worden, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres habe erwartet werden können.
II.1. Die Berufung war gem. § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen. Sie ist unzulässig, da sie entgegen § 517 ZPO nicht binnen Monatsfrist eingelegt wurde. Die Einlegung der Berufung beim LG Hildesheim war zur Fristwahrung nicht geeignet. Gemäß § 519 Abs. 1 ZPO wird die Berufung durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. Berufungsgericht vorliegend ist, was auch der Beklagte nicht in Abrede stellt, das OLG aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hat, § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG (dazu s. a. BGH v. 19.2.2003 – IV ZB 31/02, MDR 2003, 707 = BGHReport 2003, 635 = NJW 2003, 1672).
2. Erfolglos muss auch der Antrag vom 6.2.2004 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist bleiben.
Wiedereinsetzung kann einer Partei nur gewährt werden, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist oder eine sonstige in § 233 ZPO genannte Frist einzuhalten. Der Beklagte muss sich das Verschulden seines Bevollmächtigten gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Dieses Verschulden liegt darin, dass in offenbarer Unkenntnis des § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG die Berufung beim unzuständigen Gericht eingelegt wurde.
Entgegen seiner Auffassung konnte sich der Beklagte auch nicht darauf verlassen, dass seine beim LG eingelegte Berufung noch fristgerecht an das OLG weitergeleitet würde. Für die Ansicht des Beklagten ergibt sich auch nichts aus der von ihm angeführten Entscheidung des BVerfG (BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173 ff.). Das BVerfG (BVerfG v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93, NJW 1995, 3173 [3175], unter II.) hat darauf hingewiesen, dass zwischen richterlicher Fürsorge einerseits und den Belangen einer funktionsfähigen Justiz andererseits abzuwägen sei. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten sei, dürfe sich nicht nur am Interesse der Rechtssuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern müsse auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden müsse. Danach müsse der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden. Die Abwägung zwischen den betroffenen Belangen falle jedenfalls dann zugunsten des Rechtssuchenden aus, wenn das ange...