Leitsatz (amtlich)

Die Rechtshängigkeit eines Prozesses wird durch die Insolvenz oder das Nichtbetreiben des Verfahrens nicht beseitigt.

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über prozessuale Ansprüche des Schuldners unabhängig davon auf den Insolvenzverwalter über, ob dieser das Verfahren aufnimmt. Er kann deshalb insbesondere die Klage zurücknehmen, ohne zuvor den Rechtsstreit aufgenommen zu haben.

 

Normenkette

ZPO §§ 250, 269; InsO § 85

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Beschluss vom 01.08.2011; Aktenzeichen 19 O 313/06)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich etwaiger Kosten der Streithelferin trägt der Kläger.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Beschwerdewert wird auf 7.242,38 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um die Kosten des Rechtsstreits nach einer - so bezeichneten - Klagerücknahme.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gemeinschuldnerin. Mit Schriftsatz vom 29.12.2009 hat er gegenüber dem LG Folgendes erklärt:

"Aufnahme des Verfahrens und Antrag auf Prozesskostenhilfe

In dem Rechtsstreit ... nehmen wir namens und in Vollmacht des Klägers den Rechtsstreit auf und beantragen, dem Kläger zur Durchführung der ersten Instanz Prozesskostenhilfe zu bewilligen (und) dem Kläger zur Wahrung seiner Rechte den Unterzeichner als Rechtsanwalt beizuordnen." (Bl. 473 d.A.).

Bevor dieser Schriftsatz an die Gegenseite zugestellt worden ist, hat der Klägervertreter mit weiterem Schriftsatz vom 7.1.2010 unter ausdrücklichem Bezug auf den Schriftsatz vom 29.12.2009 erklärt, er stelle

"insoweit klar, dass die Aufnahme des Verfahrens nur unter der Maßgabe erfolgen soll, dass Prozesskostenhilfe bewilligt wird" (Bl. 508 d.A.).

Sowohl der Schriftsatz vom 29.12.2009 wie auch der "klarstellende" weitere Schriftsatz vom 7.1.2010 sind dem Prozessbevollmächtigten der Gegenseite zusammen am 25.1.2010 zugestellt worden (Empfangsbekenntnis Bl. 519 d.A.). Mit Beschluss vom 21.6.2010 hat das LG den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen (Bl. 567 f. d.A.). Die gegen diesen Beschluss (auch in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 6.12.2010, Bl. 656 f. d.A.) erhobene sofortige Beschwerde ist durch den Senat mit Beschluss vom 14.1.2011 zurückgewiesen worden (Bl. 669 f. d.A.). Nach dieser Entscheidung hat das LG den Klägervertreter mit Schreiben vom 3.2.2011 gefragt, ob trotz der Nichtbewilligung der Prozesskostenhilfe das Verfahren weitergeführt oder die Klage zurückgenommen werden soll (Bl. 679 R d.A.). Hierauf hat der Klägervertreter mitgeteilt, das Verfahren solle nicht aufgenommen werden (Schriftsatz vom 28.3.2011, Bl. 687 d.A.).

Das LG hat im Anschluss mit Schreiben vom 4.4.2011 darauf hingewiesen, dass der Kläger das Verfahren bereits mit Schriftsatz vom 29.12.2009 unbedingt aufgenommen habe; die entsprechende Prozesserklärung sei nicht widerruflich, weshalb eine Ablehnung der Aufnahme nicht mehr möglich sei, sondern allenfalls die Klage zurückgenommen werden könnte (Bl. 688 d.A.). Dem hat der Klägervertreter widersprochen; das Verfahren sei nicht unbedingt aufgenommen worden, sondern nur unter der Bedingung, dass PKH bewilligt werde, wie im Schriftsatz vom 7.1.2010 ausdrücklich klargestellt (Bl. 689 d.A.). Das LG hat sich dieser Ansicht nicht anschließen wollen, der Rechtsstreit sei unbedingt aufgenommen worden schon durch den Schriftsatz vom 29.12.2009 (Bl. 688 R d.A.). Mit weiterem Schreiben vom 24.5.2011 hat das LG dann "um Klarstellung gebeten, ob die Klage zurückgenommen wird" (Bl. 691 R d.A.). Darauf hat der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 8.6.2011 ohne weitere Erklärung

"die Klage zurückgenommen" (Bl. 692 d.A.).

Die Beklagte hat sodann beantragt, der Klägerin nach der erklärten Klagerücknahme die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (Schriftsatz vom 13.7.2011, Bl. 698 d.A., ebenso die Streithelferin, Bl. 702 d.A.). Entsprechend hat die Kammer im angefochtenen Beschluss vom 1.8.2011 die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streithelferin, nachdem der Kläger die Klage zurückgenommen hat, gem. § 269 Abs. 4 ZPO dem Kläger auferlegt (Bl. 700 d.A.).

Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers, der seinen Standpunkt wiederholt, er habe den Rechtsstreit nur unter der Maßgabe, dass Prozesskostenhilfe bewilligt werde, aufnehmen wollen. Nachdem aber keine PKH bewilligt worden sei, gelte der Rechtsstreit als nicht aufgenommen. Insoweit könnten dem Kläger auch nicht über § 269 Abs. 4 ZPO Kosten auferlegt werden. Das LG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 8.9.2011, Bl. 718 f. d.A.).

II. Die gem. §§ 269 Abs. 5, 567 f. ZPO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das LG hat dem Kläger im Ergebnis zu recht die Kosten gem. § 269 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 ZPO auferlegt.

1. Der Rechtsstreit ist allerdings nicht durch den Schriftsatz vom 29.12.2010 aufgenommen worden.

Gemäß § 250 ZPO erfolgt die Aufnahme e...

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