Leitsatz (amtlich)
Im Verfahren auf Erteilung eines Erbscheins ist die Änderung des Erbscheinsantrags nach dessen Ablehnung mit der Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss zulässig, solange das AG nicht entschieden hat, ob es der Beschwerde abhilft.
Normenkette
FamFG § 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 1
Verfahrensgang
AG Syke (Beschluss vom 16.06.2011; Aktenzeichen 6 VI 655/10) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Das AG wird angewiesen, der Beteiligten einen Erbschein zu erteilen, der sie als alleinige Vollerbin des Erblassers ausweist.
Beschwerdewert: 1.000 EUR
Gründe
Das Rechtsmittel ist begründet.
I. Die Entscheidung über den Antrag der Beteiligten vom 2.11.2010, den sie am 4.11.2010 beim AG eingereicht hat, ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie als Vollerbin ausweist, ist nicht entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO hinfällig geworden. Die Beteiligte hat diesen Antrag nicht dahin geändert, dass sie nur noch einen Erbschein beantragt, der sie als befreite Vorerbin ausweist, sondern diesen Antrag nur hilfsweise nach jenem gestellt für den Fall, dass jener im Beschwerdeverfahren erfolglos bleibt, was zulässig war, weil das AG, als der Hilfsantrag bei ihm einging, noch nicht entschieden hatte, ob es der Beschwerde abhilft. Die Möglichkeit der Abhilfe erstreckt sich auf Anträge, die nach Erlass des angefochtenen Beschlusses in erster Instanz gestellt werden. Der Sinn der Abhilfe, die Beschwerdegerichte zu entlasten (vgl. Keidel/Sternal, FamFG, 17. Aufl., § 68 Rz. 2), gebietet es, nicht zu unterscheiden, ob der Antragsteller den neuen Antrag im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vor Erlass der Abhilfeentscheidung oder in einem neuen erstinstanzlichen Verfahren stellt.
Der Wille der Beteiligten, den ursprünglichen Antrag als Hauptantrag aufrechtzuerhalten, ergibt sich bei verständiger objektiver Würdigung (entsprechend § 133 BGB) aus dem Schriftsatz vom 21.7.2011, mit welchem die Beteiligte den Erbscheinsantrag vom 20.7.2011 beim AG eingereicht hat. Die Bezeichnungen "im Nachgang zu meinem Antrag vom 4.11.2010" und "Nachtragsurkunde" ergeben nur Sinn, wenn die Beteiligte den Antrag vom 2.11.2010 nicht als erledigt betrachtet wissen wollte.
II. Die Beteiligte ist Vollerbin des Erblassers. Die von diesem zu ihren Gunsten verfügte befreite Vorerbschaft verbleibt ihr (§ 2142 Abs. 2 Halbs. 1 BGB). Ihre und des Erblassers als Nacherben eingesetzten drei Kinder haben die Nacherbschaft ausgeschlagen. Dem Testament des Erblassers vom 1.3.1993 ist gem. § 133 BGB dessen Wille zu entnehmen, seine und der Beteiligten drei Kinder als seine Nacherben einzusetzen. Die Erläuterung des Erblassers in dem Testament zu der Bestimmung der Beteiligten zu seiner befreiten Vorerbin, "damit meine (er), dass es keine Erbauseinandersetzung über das Grundstück mit Haus geben soll, solange meine Frau noch lebt", zeigt, dass er die gemeinsamen Kinder zu Nacherben bestimmen wollte. Diese waren die einzigen Personen, mit denen die Beteiligte sich über den Nachlass des Erblassers, wenn dieser nicht testiert hätte, aus dessen Sicht, als er das Testament errichtete, hätte auseinandersetzen müssen (§ 1924 Abs. 1, § 1931 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB).
Eine Kostenentscheidung war entbehrlich. Gerichtsgebühren sind nicht angefallen (§ 131 Abs. 3 KostO); die Erstattung außergerichtlicher Kosten war nicht anzuordnen, weil niemand außer der Beteiligten sich am Beschwerdeverfahren beteiligt hat.
Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 30 Abs. 1 Halbs. 1, § 131 Abs. 4 KostO aufgrund von Schätzung des Senats. Das für diese maßgebliche Interesse der Beteiligten, als Voll- statt nur als befreite Vorerbin des Erblassers ausgewiesen zu sein, ist wirtschaftlich gering. Es besteht nur darin, auch schenkweise und von Todes wegen über Nachlassgegenstände wirksam verfügen zu können.
Fundstellen
Haufe-Index 2763181 |
FamRZ 2012, 321 |
FGPrax 2011, 321 |
ZEV 2011, 6 |