Leitsatz (amtlich)
1. Für die Entscheidung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist der Kartellsenat funktionell zuständig, da sich dessen - auf ganz Niedersachsen erstreckende - gesetzliche Zuständigkeit für energiewirtschaftsrechtliche Sachen analog § 102 Abs. 1, § 106 Abs. 1 EnWG und für kartellrechtliche Sachen nach § 87 Satz 1, § 91 GWB analog auch auf Fragen der Zuständigkeitsbestimmung erstreckt.
2. Bei der Billigkeitskontrolle von Preiserhöhungen, die ein Energieversorger einseitig gegenüber einem privaten Abnehmer vorgenommen hat, richtet sich die sachliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts nicht nach § 102 EnWG.
3. Eine Zuständigkeit des Kartellgerichts nach § 87 GWB wird nicht begründet, wenn ein kartellrechtlicher Anspruch nicht ernsthaft geltend gemacht wird.
4. Zur fehlenden Bindung eines Verweisungsbeschlusses bei Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Normenkette
BGB § 315; EnWG §§ 102, 106; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
LG Hannover (Beschluss vom 29.11.2010; Aktenzeichen 18 O 238/10) |
Tenor
Das AG Göttingen ist zuständig.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Klägerin ist ein in Teilen Hessens, Südniedersachsens, Ostwestfalen und Westthüringen tätiges Energieversorgungsunternehmen. Als solches beliefert sie auch den Beklagten mit Erdgas. Mit der vorliegenden Klage nimmt sie den Beklagten auf Zahlung von offenen Rechnungsbeträgen von insgesamt 1.084,19 EUR zzgl. Zinsen für von diesem verbrauchtes Erdgas aus Rechnungen im Zeitraum von April 2005 bis April 2008 in Anspruch. Sie stützt ihren Anspruch auf den mit dem Beklagten geschlossenen Vertrag (§ 433 Abs. 2 BGB). Der Beklagte hält die ab April 2005 in Rechnung gestellten einseitig von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen für unrechtmäßig.
Das AG Göttingen hat sich mit Beschluss vom 2.11.2010 (Bl. 430 f.) für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Hannover verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass auch Einwendungen erhoben worden seien, die dem Kartellrecht zugeordnet werden können. So habe der Beklagte umfassend zu Fragen des GWB vorgetragen. Diesem Vortrag werde nachzugehen sein.
Die 18. Zivilkammer des LG Hannover hat sich mit Beschluss vom 29.11.2010 (Bl. 463 f.) ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und die Akten dem OLG Celle zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass im Hinblick auf den Streitwert das AG Göttingen zuständig sei, da die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit weder von den Vorschriften des GWB noch von denen des EnWG abhängig sei. Es reiche nicht aus, dass sich der Beklagte auf die Klärungsbedürftigkeit einer (Vor)Frage nach dem GWB berufe. Der Verweisungsbeschluss des AG Göttingen sei als willkürlich anzusehen, weil er sich auf formelhafte Ausführungen beschränke und sich in keiner Weise mit der entgegenstehenden Rechtsprechung der Obergerichte zu § 102 EnWG oder zur Einschlägigkeit kartellrechtlicher Fragestellungen auseinandersetze.
Der 4. Zivilsenat des OLG Celle, der laut Geschäftsverteilungsplan grundsätzlich zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berufen ist, hat die Akten unter Hinweis auf die Spezialzuständigkeit des Kartellsenats an diesen abgegeben (Bl. 467 R).
II. Das OLG Celle ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für die Entscheidung zuständig, nachdem sich das AG Göttingen und das LG Hannover rechtskräftig für sachlich unzuständig erklärt haben. Funktionell zuständig ist insofern der Kartellsenat, da sich dessen - auf ganz Niedersachsen erstreckende - gesetzliche Zuständigkeit für kartellrechtliche Sachen nach § 87 Satz 1, § 91 GWB analog und für energiewirtschaftsrechtliche Sachen analog § 102 Abs. 1, § 106 Abs. 1 EnWG auch auf Fragen der Zuständigkeitsbestimmung erstreckt (vgl. OLG München, Beschluss vom 15.5.2009, AR (K) 7/09, zitiert nach juris, Rz. 5 m.w.N.. OLG Celle, Beschlüsse vom 1.10.2010, 13 AR 5/10, vom 1.6.2010, 13 AR 2/10, zitiert nach juris, Rz. 8, sowie - unveröffentlicht - vom 6.12.2010, 13 AR 7/10).
III. Die Zuständigkeitsbestimmung war wie tenoriert zu treffen. Das AG Göttingen ist gem. § 23 Nr. 1 GVG, § 13 ZPO sachlich und örtlich zuständig, da hier eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit mit einem unter 5.000 EUR liegenden Streitwert gegeben ist, für die keine besondere Zuständigkeitsregelung gilt, und die Beklagte im dortigen Gerichtsbezirk wohnt. Die Zuständigkeit des AG ist weder durch § 87 GWB noch durch § 102 EnWG noch durch § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ausgeschlossen. Im Einzelnen:
1. Die Voraussetzungen für eine ausschließliche Zuständigkeit des LG Hannover nach den Vorschriften des GWB i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz (früher: § 14 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVOJustiz a.F.) sind nicht gegeben. Danach müsste der Rechtsstreit die Anwendung des GWB betreffen (§ 87 Satz 1 GWB) oder teilweise von einer Entscheidung abhängen, die nach dem GWB zu treffen ist (§ 87 Satz 2 GWB). Die bloße Behauptung, dass sich ein Anspruch aus ...