Leitsatz (amtlich)

1. Für die Entscheidung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist der Kartellsenat funktionell zuständig, da sich dessen - auf ganz Niedersachsen erstreckende - gesetzliche Zuständigkeit für energiewirtschaftsrechtliche Sachen analog § 102 Abs. 1, § 106 Abs. 1 EnWG und für kartellrechtliche Sachen nach § 87 Satz 1, § 91 GWB analog auch auf Fragen der Zuständigkeitsbestimmung erstreckt.

2. Bei der Billigkeitskontrolle von Preiserhöhungen, die ein Energieversorger einseitig gegenüber einem privaten Abnehmer vorgenommen hat, richtet sich die sachliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts nicht nach § 102 EnWG.

3. Eine Zuständigkeit des Kartellgerichts nach § 87 GWB wird nicht begründet, wenn ein kartellrechtlicher Anspruch nicht ernsthaft geltend gemacht wird.

4. Zur fehlenden Bindung eines Verweisungsbeschlusses bei Verletzung des rechtlichen Gehörs

 

Normenkette

BGB § 315; EnWG §§ 102, 106; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6; GWB §§ 87, 91-92

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Beschluss vom 30.11.2010; Aktenzeichen 18 O 242/10)

 

Tenor

Das AG Göttingen ist zuständig.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist ein in Teilen H., S., O. und W. tätiges Energieversorgungsunternehmen. Als solches beliefert sie auch die Beklagten mit Erdgas. Mit der vorliegenden Klage nimmt sie die Beklagten auf Zahlung von offenen Rechnungsbeträgen von insgesamt 669,77 EUR zzgl. Zinsen für von diesen verbrauchtes Erdgas aus Rechnungen im Zeitraum von November 2005 bis November 2008 in Anspruch. Sie stützt ihren Anspruch auf den mit den Beklagten geschlossenen Vertrag (§ 433 Abs. 2 BGB). Die Beklagten halten die ab November 2005 in Rechnung gestellten einseitig von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen für unrechtmäßig.

Das AG Göttingen hat sich mit Beschluss vom 11.11.2010 (Bl. 523 ff.) für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Hannover verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass auch Einwendungen erhoben worden seien, die dem Kartellrecht zugeordnet werden können. So sei von den Beklagten umfassend zu Fragen des GWB vorgetragen worden. Diesem Vortrag werde nachzugehen sein.

Die 18. Zivilkammer des LG Hannover hat sich mit Beschluss vom 30.11.2010 (Bl. 539 f.) ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und die Akten dem OLG Celle zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass im Hinblick auf den Streitwert das AG Göttingen zuständig sei, da die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit weder von den Vorschriften des GWB noch von denen des EnWG abhängig sei. Es reiche nicht aus, dass sich die Beklagten auf die Klärungsbedürftigkeit einer (Vor-)Frage nach dem GWB beriefen. Der Verweisungsbeschluss des AG Göttingen sei als willkürlich anzusehen, weil er sich auf formelhafte Ausführungen beschränke und sich in keiner Weise mit der entgegenstehenden Rechtsprechung der Obergerichte zu § 102 EnWG oder zur Einschlägigkeit kartellrechtlicher Fragestellungen auseinandersetze.

II. Das OLG Celle ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für die Entscheidung zuständig, nachdem sich das AG Göttingen und das LG Hannover rechtskräftig für sachlich unzuständig erklärt haben. Funktionell zuständig ist insofern der Kartellsenat, da sich dessen - auf ganz Niedersachsen erstreckende - gesetzliche Zuständigkeit für kartellrechtliche Sachen nach § 87 Satz 1, § 91 GWB analog und für energiewirtschaftsrechtliche Sachen analog § 102 Abs. 1, § 106 Abs. 1 EnWG auch auf Fragen der Zuständigkeitsbestimmung erstreckt (vgl. OLG München, Beschluss vom 15.5.2009, AR (K) 7/09, zitiert nach juris, Rz. 5 m.w.N.; OLG Celle, Beschlüsse vom 1.10.2010, 13 AR 5/10, vom 1.6.2010, 13 AR 2/10, zitiert nach juris, Rz. 8, vom 6.12.2010, 13 AR 7/10 und vom 14.12.2010, 13 AR 8/10).

III. Die Zuständigkeitsbestimmung war wie tenoriert zu treffen. Das AG Göttigen ist gem. § 23 Nr. 1 GVG, § 13 ZPO sachlich und örtlich zuständig, da hier eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit mit einem unter 5.000 EUR liegenden Streitwert gegeben ist, für die keine besondere Zuständigkeitsregelung gilt, und die Beklagten im dortigen Gerichtsbezirk wohnen. Die Zuständigkeit des AG ist weder durch § 87 GWB noch durch § 102 EnWG noch durch § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ausgeschlossen. Im Einzelnen:

1. Die Voraussetzungen für eine ausschließliche Zuständigkeit des LG Hannover nach den Vorschriften des GWB i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVO-Justiz (früher: § 14 Abs. 1 Nr. 1 Nds. ZustVO-Justiz a.F.) sind nicht gegeben. Danach müsste der Rechtsstreit die Anwendung des GWB betreffen (§ 87 Satz 1 GWB) oder teilweise von einer Entscheidung abhängen, die nach dem GWB zu treffen ist (§ 87 Satz 2 GWB). Die bloße Behauptung, dass sich ein Anspruch aus dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ergibt, genügt hierfür allerdings nicht (vgl. hierzu auch Bornkamm in Langen/Bunte, Deutsches Kartellrecht, 11. Aufl., § 87 Rz. 26 zur vergleichbaren Behauptung, dass sich der Missbrauch aus nationalem oder e...

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