Entscheidungsstichwort (Thema)

Sturz eines Dressurhengstes bei Überflug eines Kampfflugzeugs (Tornado) mit Überschallgeschwindigkeit (Wertverlust des Hengstes danach: 30.000 EUR)

 

Leitsatz (amtlich)

Ist für die Entstehung eines Schadens auch die Tiergefahr des eigenen Tieres des Geschädigten mitursächlich, so muss sich der Geschädigte dies entsprechend § 254 Abs. 1, § 833 Satz 1 BGB mindernd auf seinen Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB anrechnen lassen.

Voraussetzung ist, dass die typische Tiergefahr des Tieres des Geschädigten bei der Schadensentstehung adäquat mitursächlich geworden ist.

Eine typische Tiergefahr äußert sich in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten.

Durch das infolge eines überfliegenden Kampfflugzeugs (Tornado) verursachte Erschrecken, das unvermittelt zu einer Eigenverletzung eines Pferdes führte, hat sich dessen typische Tiergefahr realisiert.

Für die entsprechend § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge des Tierhalters (aus § 833 Satz 1 BGB) und des Flugzeughalters (gem. § 33 Abs. 1 LuftVG) kommt es darauf an, mit welchem Gewicht konkret sich das jeweils verkörperte Gefahrenpotential in der Schädigung manifestiert hat.

 

Normenkette

BGB § 254 Abs. 1, § 833 S. 1; LuftVG § 33 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Urteil vom 15.07.2022; Aktenzeichen 1a O 170/21)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 15. Juli 2022 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Verden - 1a O 170/21 - wird zurückgewiesen.

Hinsichtlich des ursprünglichen Antrags zu 1 der Berufungsbegründung hat die Klägerin ihr Rechtsmittel verloren.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das genannte Urteil sowie dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 11.679,48 EUR bis zum 14. September 2022, danach 4.978,23 EUR (wobei der Wert des Feststellungsantrags jeweils mit 1.000 EUR angesetzt worden ist).

 

Gründe

Die zulässige Berufung war offensichtlich erfolglos.

I. Zur Begründung nimmt der Senat auf die Darstellung des Sach- und Streitstandes einschließlich der Feststellungen (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO) im angefochtenen Urteil (Bl. 214 ff. d.A.), in der Berufungsbegründung (Bl. 256 ff. d.A.) samt den dort angekündigten Anträgen sowie den Hinweisbeschluss des Senats vom 19. September 2022 Bezug. Der Senat hat in diesem Beschluss u.a. ausgeführt:

Der Senat ist nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Diese Bindung entfällt, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO). Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinn sind alle objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Derartige konkrete Anhaltspunkte können sich unter anderem aus dem Vortrag der Parteien, vorbehaltlich der Anwendung von Präklusionsvorschriften auch aus dem Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz ergeben. Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt. Bei der Berufungsinstanz handelt es sich um eine zweite - wenn auch im Rahmen des prozessualen Berufungsrechts eingeschränkte - Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung des Einzelfalls besteht. Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen (zum Vorstehenden s. BGH, Beschluss vom 4. September 2019 - VII ZR 69/17, Rn. 11 mwN).

2. Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab liegen konkrete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen und Bewertungen des Landgerichts nicht vor.

a) Die von der Klägerin im Einzelnen wiederholten Ansichten und Behauptungen können zur Überzeugung des Senats dahinstehen, weil die vom Landgericht angesetzte Haftungsquote, wonach sich die Klägerin die Tiergefahr des verletzten Pferdes gem. §§ 833, 254 BGB mit 20% anrechnen lassen muss (LGU 4 f.), in jedem Fall zutreffend ist.

aa) Der Bundesgerichtshof hat dazu richtungsweisend ausgeführt (BGH, Urteil vom 31. Mai 2016 - VI ZR 465/15, Rn. 9):

Ist für die Entstehung eines Schadens auch die Tiergefahr des eigenen Tieres des Geschädigten mitursächlich, so muss sich der Geschädigte dies entsprechend § 254 Abs. 1, § 833 Satz 1 BGB mindernd auf seinen Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB anrechnen lassen (vgl. BGH, Urteile vom 5. März 1985 - VI ZR 1/84, VersR 1985, 665, 666 mwN; vom 27. Oktober 2015 - VI ZR 23/15, VersR 2016, 60 Rn. 26). Voraussetzung ist, dass die typische Tie...

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