Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfordernis zur Einholung eines Prognosegutachtens für "elektronische Fußfessel"

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Prüfung, ob im Sinne des § 68b Abs. 1 S. 3 Nr. 3 StGB die Gefahr der Begehung der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Straftaten droht, ist die Einholung eines auf diese Fragestellung bezogenen Prognosegutachtens gesetzlich nicht vorgeschrieben. Auch im Hinblick auf die Amtsaufklärung ist sie entbehrlich, wenn im Einzelfall ohne ein solches Gutachten eine hinreichende Prognosegrundlage besteht.

2. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung ist nicht zwingend an eine aufenthaltsbezogene Weisung geknüpft. Auch ohne eine solche Weisung kann sie spezialpräventive Wirkung entfalten.

 

Normenkette

StGB § 66 Abs. 3 S. 1, § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 12, S. 3 Nr. 3

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Entscheidung vom 08.05.2019; Aktenzeichen 29 StVK 34/19)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Verurteilten werden Ziffer 5 und 6 des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover vom 08.05.2019 (29 StVK 34/19) wie folgt abgeändert:

"5. Dem Verurteilten wird gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 3 StGB die Weisung erteilt, keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen, solange nicht eine weitere erwachsene Person ununterbrochen wach anwesend ist.

6. Dem Verurteilten wird gemäß § 68b Abs. 1 Nr. 7 StGB die Weisung erteilt,

a. sich während der ersten 6 Monate der Führungsaufsicht einmal wöchentlich und anschließend nach näherer Weisung bei seiner Bewährungshelferin zu melden,

b. sich während der ersten 6 Monate der Führungsaufsicht alle zwei Wochen und anschließend monatlich bei seinem polizeilichen KURS-Sachbearbeiter zu melden."

Die weitergehende Beschwerde des Verurteilten wird als unbegründet verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Verurteilte.

 

Gründe

I.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer hat sich der Verurteilte im Strafvollzug der JVA ... befunden.

1.

Ausweislich des Vollstreckungsblatts der JVA ... - Standnummer 11 - vom 04.11.2015 befand sich der Verurteilte dort seit dem 05.06.2014 wie folgt in Haft:

a. Am 05.06.2014 erfolgte die Aufnahme zum Vollzug von Untersuchungshaft für das Verfahren der Staatsanwaltschaft Verden 531 Js 22373/14, die bis zum 20.08.2015 vollzogen wurde.

b. Im Anschluss erfolgte vom 21.08.2015 bis 16.10.2016 die Vollstreckung der Reststrafen aus Verurteilungen des Landgerichts Verden vom 14.11.1990 zu 3 Jahren Jugendstrafe und vom 06.09.1995 zu 3 Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe. Neben der Verurteilung zu den jeweiligen Strafen ist jeweils auch die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet worden.

Die mit Unterbrechungen zur Vollstreckung von Freiheitsstrafen vollzogene Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde durch Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Münster am 12.03.2013 für erledigt erklärt und der Verurteilte am 26.03.2013 entlassen. Die Strafreste der vorgenannten Verurteilungen zu Jugend- und Freiheitsstrafe wurden für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Gemäß § 67d Abs. 6 S. 2 StGB ist Führungsaufsicht eingetreten. Die Strafaussetzung zur Bewährung ist im Jahr 2015 widerrufen worden.

Im Einzelnen:

(1) Urteil des Landgerichts Verden vom 14.11.1990.

Mit diesem Urteil war der Verurteilte wegen sexuellen Missbrauchs in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Einbezogen wurde die Strafe aus der Verurteilung des Landgerichts Verden vom 31.01.1990, in der er wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung und wegen gemeinschaftlichen Diebstahls zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren verurteilt worden war sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB wegen einer psychischen Devianz im Sexualverhalten angeordnet worden war.

Der Verurteilung vom 31.01.1990 lag hinsichtlich der Sexualdelikte folgendes Geschehen zu Grunde:

Am 23.08.1989 zog der Verurteilte ein achtjähriges Mädchen in ein Gebüsch, wo er das Kind und sich selbst entkleidete. Er steckte seinen Penis in den Mund des Kindes, zog ihn kurz vor dem Samenerguss wieder heraus und ejakulierte auf den Boden.

Am 30.06.1989 lockte der Verurteilte einen 11jährigen Jungen in ein Gebüsch, entkleidete das Kind, legte sich auf dessen Rücken und führte beischlafähnliche Bewegungen bis zum Samenerguss auf dem Rücken des Kindes aus, nachdem er zuvor vergeblich versucht hatte, anal einzudringen.

In Vollzug der Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB befand sich der Verurteilte seit dem 31.01.1990 im Landeskrankenhauses .... Am 30.04.1990 gelang ihm die Flucht.

Der Verurteilung vom 14.11.1990 lag folgendes Geschehen zu Grunde:

Unmittelbar nach seiner Flucht sprach der Verurteilte am frühen Morgen des 30.04.1990 in N. einen 11jährigen...

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