Entscheidungsstichwort (Thema)
Stichtag für die Gebührenbemessung bei zeitgleicher Mandatierung eines Rechtsanwalts für das Ermittlungs- sowie nachfolgende gerichtliche Verfahren
Leitsatz (amtlich)
Wird der Rechtsanwalt durch den späteren Nebenkläger bereits im Ermittlungsverfahren sowohl für dieses als auch für ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren beauftragt, handelt es sich gebührenrechtlich um verschiedene Aufträge und nicht um einen Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit. Der Auftrag für das nachfolgende Gerichtsverfahren ist zudem bedingt durch die Anklageerhebung, sodass für die gebührenrechtliche Betrachtung nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG der spätere Zeitpunkt des Bedingungseintritts maßgeblich ist.
Normenkette
RVG § 17 Nr. 10 Buchst. a), § 56 Abs. 2, § 60 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Stade (Entscheidung vom 12.08.2022; Aktenzeichen 300 Ks 3/21) |
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Stade vom 12. August 2022 wird aufgehoben.
Dem Beschwerdeführer sind über die mit Entscheidung der Kostenbeamtin vom 21. April 2022 festgesetzte Vergütung von insgesamt 5.883,36 EUR hinaus weitere 739,47 EUR aus der Landeskasse zu erstatten.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Höhe der Festsetzung seiner Vergütung als Nebenkläger durch das Landgericht Stade.
In Rahmen eines gegen den Angeklagten u.a. wegen des Verdachts der Begehung eines versuchten Tötungsdeliktes zum Nachteil des Geschädigten G. B. von der Staatsanwaltschaft Stade geführten Ermittlungsverfahrens legitimierte sich der Beschwerdeführer gegenüber der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 14. Dezember 2020 für den Geschädigten und beantragte zunächst Akteneinsicht. Die vom Geschädigten unterzeichnete schriftliche Vollmacht datiert vom 16. Dezember 2020 und ermächtigte den Beschwerdeführer zur außergerichtlichen und gerichtlichen Erledigung für alle Instanzen, insbesondere die Verteidigung in einem Strafverfahren einschließlich der Vorverfahren.
Im weiteren Verfahrensgang wurde der Beschwerdeführer noch im Ermittlungsverfahren mit Beschluss 23. Februar 2021 als Beistand des Geschädigten nach §§ 397a Abs. 1, 406h Abs. 3 StPO bestellt.
Unter dem 29. März 2021 erhob die Staatsanwaltschaft Stade sodann Anklage zum Landgericht Stade (Schwurgericht). Die Anklage wurde mit Beschluss vom 6. Mai 2021 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Mit selben Beschluss ließ das Landgericht den Geschädigten als Nebenkläger unter Beiordnung des Beschwerdeführers zu.
Mit Urteil vom 22. September 2021 wurde der Angeklagte vom Landgericht Stade zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde; darüber hinaus wurden ihm u.a. die dem Nebenkläger erwachsenen notwendigen Auslagen auferlegt. Der Beschwerdeführer nahm an mehreren Hauptverhandlungsterminen teil und legte nachfolgend Revision gegen das am 22. September 2021 verkündete Urteil des Schwurgerichts ein.
Nach Verfahrensbeendigung beantragte der Beschwerdeführer gegenüber der Staatskasse mit Schreiben vom 19. Januar 2022 die Festsetzung seiner im Ermittlungsverfahren, erstinstanzlichen Verfahren sowie Revisionsverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 6.657,34 EUR. Er legte dabei für sämtliche Verfahrensabschnitte die Gebührensätze in der ab dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) zugrunde. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle brachte hingegen unter Verweis auf die Vorschrift des § 60 Abs. 1 S. 1 RVG die Gebührensätze für sämtliche Verfahrensabschnitte in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung in Ansatz und setzte die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen lediglich auf 5.883,36 EUR fest.
Die hiergegen eingelegte Erinnerung des Beschwerdeführers wies das Landgericht mit Beschluss vom 12. August 2022 als unbegründet zurück. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass bereits im Jahr 2020 ein unbedingter Auftrag sowohl für das Ermittlungsverfahren als auch das gerichtliche Verfahren vorgelegen hätte und daher für die gesamte Vergütung des Beschwerdeführers nach § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG das bisherige Recht anzuwenden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorbezeichneten Beschluss des Landgerichts verwiesen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde vom 22. August 2022 nur noch insoweit, als auch für das gerichtliche Verfahren die Gebührensätze in der vor dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) zugrunde gelegt worden sind. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass zum Zeitpunkt der Auftragserteilung im Jahr 2020 noch kein unbedingter Auftrag für ein gerichtliches Verfahren erteilt werden konnte. Vielmehr sei zu diesem Zeitpunkt noch unklar gewesen, ob es überhaupt zu einem gerichtlichen Verfahren komme, sodass die Beauftragung unter der Bedi...