Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafrecht: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht bei Erlass eines Urteils wegen einer dem "erweiterten" Tatbegriff des § 121 Abs. 1 StGB unterfallender Straftat
Leitsatz (amtlich)
1. Nach dem "erweiterten" Tatbegriff des § 121 Abs. 1 StPO können zu derselben Tat auch solche Taten gehören, die Gegenstand eines getrennten Verfahrens und eines weiteren Haftbefehls sind, wenn für diese Taten bereits bei Erlass des ersten Haftbefehls ein dringender Tatverdacht bestand und sie deshalb bereits in den Ursprungshaftbefehl hätten aufgenommen werden können.
2. Ist wegen einer solchen Tat ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergangen, so findet auch wegen weiterer Vorwürfe, die als dieselbe Tat i. S. v. § 121 Abs. 1 StPO gelten, eine besondere Haftprüfung durch das Oberlandesgericht nicht mehr statt. Es kommt nicht darauf an, ob die nicht abgeurteilten Taten Gegenstand desselben oder eines getrennten Ermittlungsverfahrens sind.
Normenkette
StPO § 121 Abs. 1, § 122; StGB §§ 53, 264
Tenor
Der Senat ist zu einer Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht berufen.
Gründe
I.
Der Angeklagte wurde in anderer Sache am 20. März 2015 wegen des dringenden Tatverdachts des gemeinschaftlichen Wohnungseinbruchsdiebstahls - begangen am selben Tag - in L./S.-A. vorläufig festgenommen. Am 21. März 2015 erließ das Amtsgericht Stendal auf Antrag der Staatsanwaltschaft Stendal (Az. 120 Js 4290/15) gegen den Angeklagten Haftbefehl. Seitdem befindet er sich in jenem Verfahren in Untersuchungshaft. Durch noch nicht rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Burg vom 10. Juni 2015 ist der Angeklagte wegen gemeinschaftlichen versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Der Haftbefehl wurde aufrechterhalten und Haftfortdauer beschlossen. Die Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Stendal ist für den 26. November und 3. Dezember 2015 vorgesehen.
Darüber hinaus ist seit Anfang des Jahres 2015 bei der Staatsanwaltschaft Lüneburg das vorliegende Strafverfahren wegen des Verdachts von 6 Wohnungseinbruchstaten in der Zeit vom 7. Januar 2015 bis zum 18. März 2015 anhängig. Mit Ermittlungsbericht vom 18. März 2015 regte die Polizei in diesem Verfahren den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls unter anderem gegen den Angeklagten D. wegen des dringenden Tatverdachts eines gemeinschaftlichen Wohnungseinbruchsdiebstahls in 5 Fällen (die Tat vom 18. März 2015 war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt) an. Insbesondere aufgrund der durchgeführten Telefonüberwachungsmaßnahmen (u.a. Funkzellenauswertungen der Tatorte) sowie von Zeugenaussagen und der weiteren Ermittlungsergebnisse der Polizei ergab sich zu diesem Zeitpunkt der dringende Verdacht, dass der Angeklagte die Taten begangen hat und in verschiedene Einfamilienhäuser in den Landkreisen H. und S.-F. eingebrochen ist. Am 24. März 2015 erließ das Amtsgericht Lüneburg Haftbefehl gegen den Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Wohnungseinbruchsdiebstahls in 5 Fällen. Dieser Haftbefehl wurde dem Angeklagten am 24. April 2015 vom Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Burg verkündet. Es ist im Hinblick auf den Haftbefehl des Amtsgerichts Stendal vom 21. März 2015 Überhaft notiert.
Die Staatsanwaltschaft Lüneburg erhob am 21. Juli 2015 wegen der im Haftbefehl des Amtsgerichts Lüneburg vom 24. März 2015 aufgeführten Taten sowie des Wohnungseinbruchsdiebstahls vom 18. März 2015 Anklage zum Landgericht Lüneburg. Mit Beschluss der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg vom 8. September 2015 wurde die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und aus den Gründen des Haftbefehls des Amtsgerichts Lüneburg vom 24. März 2015 Haftfortdauer angeordnet. Der Vorsitzende bestimmte Termin zur Hauptverhandlung auf den 11. November 2015 mit weiteren Fortsetzungsterminen im November und Dezember 2015.
Nunmehr liegen die Akten dem Senat zur Entscheidung nach § 121 StPO über den Haftbefehl des Amtsgerichts Lüneburg vom 24. März 2015 vor.
II.
Der Senat ist nicht zur Entscheidung im besonderen Haftprüfungsverfahren gemäß §§ 121, 122 StPO berufen.
1. Nach § 121 Abs. 1 StPO darf, solange kein Urteil, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Das Oberlandesgericht ist danach nur dann zu einer Entscheidung berufen, wenn Untersuchungshaft "wegen derselben Tat" über sechs Monate hinaus vollzogen werden soll.
a) Der Begriff "derselben Tat" kann nicht mit dem Tatbegriff des § 264 StPO oder dem des § 53 StGB gleichgesetzt werden (OLG Koblenz, Beschl. v. 17.09.2014, 2 Ws 486/14). Vielmehr gilt ein "erweiterter Tatbegriff". Danach fallen unter den ...