Entscheidungsstichwort (Thema)

Telekommunikationsüberwachung im Strafverfahren: Akteneinsichtsrecht der Verteidigung. Aushändigung von Dateikopien aufgezeichneter Telefonate

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Entscheidung des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts, Kopien der im Rahmen einer Telekommunikationsüberwachung aufgezeichneten Daten an den Verteidiger herauszugeben, kann von der Staatsanwaltschaft mit der Beschwerde angefochten werden.

2. Der Aushändigung von Kopien der aufgezeichneten Telekommunikationsdaten an den Verteidiger stehen die Persönlichkeits- und Datenschutzrechte der von der Überwachung und Aufzeichnung betroffenen unbeteiligten Gesprächsteilnehmer als wichtige Gründe gemäß § 147 Abs. 4 Satz 1 StPO entgegen.

3. Im Falle einer Herausgabe von originalgleichen Dateikopien könnten die Strafverfolgungsbehörden die ihnen übertragenen grundrechtssichernden Aufgaben für die Rechte betroffener Dritter nach § 101 Abs. 8 Satz 1 StPO nicht mehr in der gebotenen Weise wahrnehmen.

 

Normenkette

StPO § 58a Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 1, § 101 Abs. 8 S. 1, § 147 Abs. 1, 4 Sätze 1-2, § 305 S. 1

 

Tenor

Die Verfügung des Vorsitzenden der 7. großen Strafkammer zur Übersendung von Kopien der Daten aus der aufgezeichneten Telekommunikation an die Verteidigerin wird aufgehoben.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten im Beschwerdeverfahren.

 

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Verden erhob am 23.04.2015 Anklage gegen fünf Angeschuldigte wegen des Vorwurfs des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und weiterer Straftaten zur großen Strafkammer des Landgerichts Verden. Die Ermittlungen wurden seit dem Jahr 2013 unter anderem mit umfangreichen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen geführt und mündeten am 16.01.2015 in einen polizeilichen Zugriff, bei dem ca. 11,3 kg Marihuana, das durch die Tätergruppierung kurz zuvor in den Niederlanden erworben worden sein soll, sichergestellt werden konnten.

Mit Schreiben vom 21.01.2015 und 11.03.2015 wies die Staatsanwaltschaft die Verteidigerin P. darauf hin, dass umfangreiche Aufzeichnungen der Telekommunikation, Observationen und Aufzeichnungen von Innenraumgesprächen erfolgt seien. Diese könnten als Beweismittel besichtigt werden. Sofern eine Besichtigung - auch durch die Angeklagte selbst - gewünscht werde, werde diese in den Räumen der ZKI Oldenburg ermöglicht werden.

Nachdem die 7. große Strafkammer des Landgerichts Verden das Hauptverfahren mit Beschluss vom 18.06.2015 eröffnet hatte, musste die am 08.07.2015 begonnene Hauptverhandlung zunächst ausgesetzt werden. Ein Angeklagter war verhandlungsunfähig und zwei weiteren Angeklagten konnte die Ladungen zum Termin nicht rechtzeitig zugestellt werden. Zum jetzigen Zeitpunkt befinden sich noch zwei Angeklagte in Untersuchungshaft. Der erneute Beginn der Hauptverhandlung ist für den 27.07.2015 vorgesehen.

Mit Schriftsatz vom 21.05.2015 beantragte die Verteidigerin P. beim Landgericht Verden die Übersendung der Audiodateien bezüglich der durchgeführten umfassenden TKÜ- und Observationsmaßnahmen. Diesem Antrag trat die Staatsanwaltschaft Verden mit Stellungnahme vom 01.06.2015 entgegen.

Der Vorsitzende ordnete mit Verfügung vom 10.06.2015 die Übersendung von Kopien der Daten aus der Telekommunikation, die im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung aufgezeichnet worden waren, an die Verteidigerin P. an. Zur Begründung führte er aus, es könne dahinstehen, ob § 147 Abs. 4 StPO ein Verbot für (die Aushändigung) aufgezeichneter Daten der Telekommunikation darstelle. Jedenfalls sei im vorliegenden Verfahren zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens sowie zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung ein Anspruch auf Herausgabe von Kopien gegeben. Anhaltspunkte dafür, dass die Verteidigerin mit den Daten unsachgemäß oder rechtswidrig umgehen werde, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Übrigen sei das Recht der Angeklagten auf Einsichtnahme in die Akten/Beweismittel im vorliegenden Verfahren praktisch nicht anders umsetzbar als durch die Übersendung der Audiodateien. Nach Auskunft des Präsidenten des Landgerichts Verden bestehe gegenwärtig auch nicht die Möglichkeit, den Verteidigern und den Angeklagten im Landgericht die aufgezeichneten Gespräche zu Gehör zu bringen. Diese Verfügung ist - soweit ersichtlich - bislang nicht vollzogen worden.

Im weiteren Verlauf haben bislang zwei weitere Verteidiger die Aushändigung von Kopien der im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung aufgezeichneten Audiodateien beantragt. Über diese Anträge ist bislang nicht entschieden worden.

Mit Schreiben vom 15.06.2015 legte die Staatsanwaltschaft Verden Beschwerde gegen die Entscheidung des Vorsitzenden vom 10.06.2015 ein. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Beschwerde beigetreten und hat beantragt, die angefochtene Anordnung des Vorsitzenden der 7. großen Strafkammer des Landgerichts Verden vom 10.06.2015 aufzuheben.

II.

Die zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat...

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