Leitsatz (amtlich)
Eine Lichtzeichenanlage, die nur eine Fußgängerfurt sichert, ändert nicht die ansonsten bestehenden Vorfahrtsregeln. Gleichwohl haben sich die vom Haltegebot einer Fußgängerampel betroffenen Fahrzeugführer darauf einzustellen, dass Verkehrsteilnehmer jenseits der Ampel auf das Rotlicht für den bevorrechtigten Verkehr vertrauen und sich entsprechend verhalten. Wenn daher ein bevorrechtigter Fahrzeugführer eine Fußgängerampel bei Rotlicht überfährt und unmittelbar hinter dem Fußgängerüberweg mit einem aus einer untergeordneten Querstraße in die bevorrechtigte Straße einbiegenden Fahrzeug kollidiert, ist schon deshalb eine Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zum Nachteil des Vorfahrtberechtigten gerechtfertigt.
Normenkette
StVO § 8; StVG § 17
Verfahrensgang
LG Stade (Urteil vom 01.06.2005; Aktenzeichen 5 O 39/03) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des LG Stade vom 1.6.2005 unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und neu gefasst wie folgt:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.244,31 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.12.2002 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 68 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 32 %.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 4.488,63 EUR.
Gründe
(abgekürzt gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 2 ZPO)
Die Berufung ist zum Teil begründet. Der Kläger hat für den streitbefangenen Verkehrsunfall vom 5.12.2002 überwiegend einzustehen.
1. Mit dem LG bejaht der Senat einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagten als Gesamtschuldner aus §§ 7, 17 StVG i.V.m. 8 Abs. 1 Nr. 1 StVO, 3 PflVG. Denn die Beklagte zu 1 hat sich eine Vorfahrtsverletzung zu Schulden kommen lassen. Dem Kläger ist aber ebenfalls ein verkehrswidriges Verhalten anzulasten. Er hat zum einen die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erheblich - um mindestens 38 % (69-74 km/h) - überschritten. Zum andern ist er in den Kreuzungsbereich hineingefahren, als die dort befindliche Fußgängerampel bereits "rot" zeigte, wie sich eindeutig aus den Bekundungen des Zeugen K. (Bl. 46 d.A.) ergibt und vom LG in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt worden ist (LGU 5).
2. Im Gegensatz zur Wertung des LG sieht der Senat jedoch bei der gem. § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge - wie bereits im Beschluss vom 12.7.2005 erwähnt (Bl. 134 d.A.) - die überwiegende Verantwortlichkeit für den Unfall bei dem Kläger.
Der Beklagten zu 1 ist zwar eine Vorfahrtsverletzung anzulasten, weil durch eine Lichtzeichenanlage, die nur eine Fußgängerfurt sichert, die Vorfahrtsregeln nicht berührt werden (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 8 StVO Rz. 44, m.w.N.). Die Beklagte zu 1 hätte deshalb den unübersehbaren Lkw des Klägers bevorzugt passieren lassen müssen. Ein Alleinverschulden des Klägers bzw. insgesamt eine Abweisung der Klage, wie es die Beklagten mit ihrer Berufung begehren, ist danach nicht zu rechtfertigen.
Den Kläger trifft jedoch eine höhere Haftungsquote. Er wäre aufgrund des von der Fußgängerampel ausgehenden Haltegebots verpflichtet gewesen, nicht in die Kreuzung einzufahren. Denn das von der "roten" Ampel ausgehende Haltegebot war für ihn bindend. Unbeachtlich ist dabei, ob der Einmündungsverkehr in den Schutzbereich der Fußgängerampel einbezogen ist (dies bejahend bei einem Abstand von nur 5m zwischen Fußgängerampel und untergeordneter Querstraße OLG Hamm v. 30.3.1997 - 27 U 240/96, MDR 1997, 832; ebenso wohl auch OLG Karlsruhe ZfSchR 2001, 477). Auch wenn die Beklagte zu 1 aufgrund der roten Fußgängerampel nicht darauf vertrauen durfte, ohne Weiteres in die L. straße einbiegen zu dürfen, kann der Kläger hieraus nicht herleiten, er hätte die Ampel ohne Auswirkung für seine Haftung an dem Unfall "überfahren" dürfen. Vielmehr hatte er damit zu rechnen, dass Verkehrsteilnehmer jenseits der Ampel - wie die Beklagte zu 1) - sich auf das Rotlicht für den bevorrechtigten Fahrverkehr einrichten und entsprechend verhalten (OLG Hamm v. 8.12.1997 - 6 U 130/97, OLGReport Hamm 1998, 131 = MDR 1998, 838). Demgegenüber galt sein Vorfahrtsrecht nicht absolut. Denn Fahrzeugführer haben in jedem Fall - auch wenn sie vorfahrtberechtigt sind - ihr Verhalten ständig vorausschauend der gegebenen Verkehrslage anzupassen und ggf. auch auf ihren Vorrang zu verzichten; das gilt erst recht, wenn sie sich selbst verkehrswidrig verhalten (OLG Karlsruhe ZfSchR 2001, 477). Wenn daher ein bevorrechtigter Fahrzeugführer eine Fußgängerampel bei Rotlicht überfährt und unmittelbar hinter dem Fußgängerüberweg mit einem aus einer untergeordneten Querstraße in die bevorrechtigte Straße einbiegenden Fahrzeug kollidiert, ist ...