Leitsatz (amtlich)
Zur Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall, bei dem ein Fahrzeug die der Unfallstelle vorgelagerte Fußgängerampel unter Missachtung des Rotlichts überquert und dann mit dem Fahrzeug zusammenstößt, welches vom rechten Parkstreifen aus nach links ein Wendemanöver über eine vierspurige Straße durchführt.
Normenkette
StVG § 7 Abs. 1, § 17; VVG § 115 Abs. 1; StVO § 1 Abs. 2, § 10
Verfahrensgang
LG Bochum (Urteil vom 27.03.2015; Aktenzeichen 4 O 342/14) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 27.03.2015 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des LG Bochum wird zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO beruht noch nach § 529 ZPO zugrundezulegende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO).
Zu Recht hat das LG die Beklagten zur Tragung des dem Kläger aufgrund des Verkehrsunfalls vom 27.02.20... entstandenen Schadens nach den §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, 115 Abs. 1 VVG verurteilt, wobei auch die vom LG angenommene Haftungsquote von 25 % zu 75 % zu Lasten der Beklagten nicht zu beanstanden ist.
Die vom LG im Rahmen der Parteianhörung und Beweisaufnahme gewonnenen Feststellungen werden von der Berufung nicht angegriffen. Danach steht für den Senat bindend fest, dass die von beiden unfallbeteiligten Fahrzeugen ausgehende Betriebsgefahr, jeweils erhöht um ein Verschulden ihrer Fahrer, ursächlich für den streitgegenständlichen Unfall geworden ist. Der Beitrag des Klägers zur Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug besteht darin, dass er die der Unfallstelle vorgelagerte Fußgängerampel unter Missachtung des Rotlichts überquert hat, während die Beklagte zu 1) bei ihrem vom rechten Parkstreifen aus nach links durchgeführten Wendemanöver nicht die ihr gemäß § 10 StVO obliegenden besonderen Sorgfaltspflichten beobachtet hat.
Es begegnet keinen Bedenken, dass das LG den Verstoß der Beklagten zu 1) höher gewichtet hat als denjenigen des Klägers. Der Senat schließt sich dieser Wertung an.
Nach § 10 StVO hat derjenige, der nach einem Einfahren auf die Fahrbahn ein Wendemanöver ausführt, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Ein solches Manöver erfordert äußerste Sorgfalt. Der derart Wendende trägt deshalb in der Regel die Hauptverantwortung für einen Unfall, was fremde Mitschuld nicht ausschließt. Gegen ihn spricht allerdings der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden an dem Zustandekommen des Unfalls (BGH DAR 1985, 316).
Die Beklagte zu 1) vermochte auch in ihrer Anhörung vor dem Senat den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis nicht zu widerlegen, vielmehr ist von einem Verschulden der Beklagten zu 1) auszugehen. Die Beklagte zu 1) hat vor dem Senat angegeben, dass sie aus einer auf der rechten Fahrbahnseite befindlichen Einfahrt herausgefahren sei, in einer Entfernung von etwa zwei Fahrzeuglängen hinter dem Fußgängerüberweg gestanden habe und dann auf dem Parkstreifen nach vorne gefahren sei, um über die Straße zu wenden. Sie habe in den Rückspiegel, über die linke Schulter und in den Seitenspiegel geblickt. Dabei habe sie den Kläger bzw. sein Fahrzeug nicht gesehen, dieser sei "aus dem Nichts" gekommen.
Diese Angabe kann offensichtlich nicht zutreffend sein. Denn es ist unstreitig, dass der Kläger eine Geschwindigkeit von 50 km/h eingehalten hat, als er sich der Unfallstelle näherte. Dies bedeutet, dass er 13,8 m in der Sekunde zurückgelegt hat. Der Kläger muss also 10 Sekunden vor dem Unfall etwa 138 m von der Unfallstelle entfernt gewesen und somit angesichts der klaren Sichtverhältnisse auf der gut ausgebauten Straße für die Beklagte zu 1) gut zu sehen gewesen sein, wie die zur Akte gereichten Fotografien belegen.
Tatsächlich muss jedoch ein wesentlich kürzerer Zeitraum zwischen dem letzten Blick der Beklagten zu 1) nach links und der Kollision verstrichen sein, da sie lediglich die linke und einen Teil der rechten Fahrspur überwunden hatte, als es zum Unfall kam. Wenn man einen Zeitraum von-großzügig gerechnet- 4 Sekunden für den letzten Blick nach links, den Anfahrentschluss und das Anfahren bis zur Kollisionsstelle zugrundelegt, so muss sich das Klägerfahrzeug zum Zeitpunkt des letzten Blickes der Beklagten zu 1) nach links in einer Entfernung von nur noch 55,2 m zur Unfallstelle befunden haben und eindeutig zu erkennen gewesen sein. Dies bedeutet, dass die Beklagte zu 1) entweder das Klägerfahrzeug übersehen hat oder, was wahrscheinlicher ist, nicht mehr über die Schulter gesehen hat, weil sie, wie sie selbst angegeben hat, gesehen hat, wie die Fußgängerampel für den fließenden Verkehr auf Gelb umgeschlagen ist. Somit hat sie möglicherweise einfach darauf vertraut, dass sämtliche Fahrzeuge an der Fußgängerampel anhalte...