Leitsatz (amtlich)
1. Die Gefährdungshaftung nach § 2 Abs. 1 HaftpflG greift bei Rückstauschäden nicht ein.
2. Eine Haftung aus Amtspflichtverletzung besteht nicht, wenn eine ordnungsgemäße Rückstausicherung nicht vorhanden ist.
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 28.11.2003; Aktenzeichen 9 O 58/03) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung der Anschlussberufung - das am 28.11.2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des LG Hannover teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert der Beschwer übersteigt 20.000 Euro nicht.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 2.554,42 Euro.
Gründe
(abgekürzt gem. §§ 540, 313a Abs. 1 ZPO):
Die Berufung der Beklagten erweist sich als begründet, die Anschlussberufung des Klägers hingegen als unbegründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch wegen des in seinem Hause in der H.-straße in H. eingetretenen Wasserschadens zu, und zwar weder aus dem Gesichtspunkt einer Gefährdungshaftung nach dem Haftpflichtgesetz noch eines Anspruches wegen Amtspflichtverletzung.
1. Entgegen der Auffassung des LG liegen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 HaftpflichtG nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (BGH v. 6.6.1991 - III ZR 149/90, BGHZ 114, 380 ff. = MDR 1991, 1041; v. 7.7.1983 - III ZR 119/82, MDR 1984, 207 = NJW 1984, 615 f.), der sich der erkennende Senat bereits ausdrücklich angeschlossen hat (OLG Celle, Beschl. v. 21.7.2003 - 14 W 25/03, veröffentlicht in Juris-Online) greift die Gefährdungshaftung des § 2 Abs. 1 HaftpflichtG (hier in Form der sog. Wirkungshaftung) grundsätzlich dann nicht ein, wenn es zu sog. Rückstauschäden kommt, also in Fällen, in denen das Wasser einer Abwasserleitung wegen unzureichender oder fehlender Funktion sich in eines der einleitenden Häuser selbst zurückstaut. Diese für den Laien angesichts der Formulierung der Haftungsvorschrift möglicherweise nicht ohne weiteres nachvollziehbare Differenzierung ist auf den erklärten Willen des Gesetzgebers bei der Neuformulierung der Vorschrift zurückzuführen, wonach für Schäden, die auf einen Rückstau durch die Anlage in das Haus zurückzuführen sind, für eine Gefährdungshaftung wegen anderer in Betracht kommender Anspruchsgrundlagen kein Bedürfnis besteht (BGH v. 7.7.1983 - III ZR 119/82, MDR 1984, 207 = NJW 1984, 615 [616] m.w.N.).
Mit anderen Worten: Das Haftpflichtgesetz erfasst nur Schäden, die im Zusammenhang mit der Funktion der Anlage stehen, nicht also solche, die durch das Ausbleiben der Funktion verursacht worden sind (BGH v. 6.6.1991 - III ZR 149/90, BGHZ 114, 380 ff. = MDR 1991, 1041 m.w.N.).
Die vom LG zitierte Entscheidung des OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf v. 20.12.2001 - 6 U 16/01, OLGReport Düsseldorf 2003, 5 = VersR 2002, 1557 f.), der sich der Einzelrichter angeschlossen hat, steht mit dieser Rechtsprechung des BGH und des erkennenden Senats nicht in Einklang. Dabei kann auch nicht etwa, wie das LG meint, als Grund für die Differenzierung darauf abgestellt werden, dass es im vorliegenden Fall zu einem Rückstau wegen einer völligen Verstopfung der Rohrleitung gekommen ist, und nicht, wie in den vom BGH entschiedenen Fällen, wegen einer Überlastung der Rohrleitung in Folge zu großer Regenwassermengen. Der Grund dafür, dass bei sog. Rückstaufällen eine Gefährdungshaftung nach dem Haftpflichtgesetz nicht in Betracht kommt, ist nicht in der Differenzierung zu suchen, ob die Kanalisationsleitung nur überlastet oder gar vollständig funktionsunfähig ist, sondern im Gegenteil gerade darin, dass ein Zusammenhang des Schadens mit der Funktion der Anlage bestehen muss und eben nicht mit dem Ausbleiben der Funktion (BGH v. 6.6.1991 - III ZR 149/90, BGHZ 114, 380 ff. = MDR 1991, 1041 m.w.N.). Die zitierten Entscheidungen rechtfertigen mithin für den gegebenen Fall nicht etwa eine Abweichung, sondern vielmehr einen Erst-Recht-Schluss dahingehend, dass auch bei einer vollständigen Funktionsuntüchtigkeit der Abwasserleitung die Gefährdungshaftung gerade nicht eingreift. In diesem Fall soll der Ersatzberechtigte nicht besser gestellt werden können, als wenn überhaupt keine Leitung verlegt worden wäre (BGH v. 6.6.1991 - III ZR 149/90, BGHZ 114, 380 ff. a.E. = MDR 1991, 1041 m.w.N.). Ein Rückstau einer Abwasserleitung in ein Haus, welches seine Abwässer in diese Leitung selber einleitet, ist vom Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 HaftpflichtG schlechthin nicht erfasst.
2. Dem Kläger steht auch aus dem Gesichtspunkt einer Amtspflichtverletzung oder einer schuldhaften Verletzung des Vertragsverhältnisses mit der Beklagten betreffend die (öffentlich-rechtlich geregelte) Entsorgung des Abwassers kein Schadensersatzanspruch zu. Dies schon deshalb, weil die dem Kläger entstandenen Schäden außerhalb des Schutzzwecks einer etwaigen Pflichtverletzung der Beklagten lägen. Rückstauschäden, vor deren Eintritt der ...