Leitsatz (amtlich)
1. Ist die voraussichtliche berufliche Entwicklung eines Geschädigten ohne das Schadensereignis zu beurteilen (§§ 252 BGB, 287 ZPO), muss der Geschädigte soweit wie möglich konkrete Anhaltspunkte für die erforderliche Prognose dartun. Doch dürfen insoweit keine zu hohen Anforderungen gestellt werden.
2. Bei selbständig Tätigen bedarf es zur Beantwortung der Frage, ob diese einen Verdienstausfallschaden erlitten haben, der Prüfung, wie sich ihr Betrieb ohne den Unfall voraussichtlich entwickelt hätte. Welche Tatsachen dabei zum gewöhnlichen Lauf der Dinge gehören und welche Tatsachen so wesentlich sind, dass sie vom Geschädigten dargelegt und ggf. bewiesen werden müssen, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.
3. Persönliche spekulative Einschätzungen sowie Absichtserklärungen des Geschädigten über seine Gewinnchancen aus etwaigen zukünftigen betrieblichen Gestaltungen sind grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig. Insoweit handelt es sich nicht um den gewöhnlichen Verlauf der Dinge, der ohne das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre.
4. Soweit der Geschädigte den im Wege des Schadensersatzes erhaltenen Verdienstausfall nachträglich ausgeglichen bekommt und zu versteuern hat, hat der Schädiger auch die konkret auf den zu erstattenden Betrag entfallende Steuer zu ersetzen.
5. Ein Hobby (hier: Reisen, Camping) hat nicht ohne weiteres einen Vermögenswert und ist damit keine ausgleichsfähige Position im Rahmen eines Verdienstausfallschadens. Ein Ausgleich dieser Positionen ist bei der Bemessung des Schmerzensgeldes möglich. Hier kann ein entsprechender Verlust an Lebensqualität durch entsprechende Zuschläge zu berücksichtigen sein.
6. Auch bei einem Querschnittsgelähmten kann im Einzelfall (hier: mehrfacher Welt- und Europameister im Badminton; Behindertensportler des Jahres) Mithilfe bei der Hausarbeit zumutbar sein. Entsprechend verringert sich ein Haushaltsführungsschaden.
Normenkette
BGB § 252; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 21.02.2011; Aktenzeichen 20 O 90/06) |
Tenor
Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des
Einzelrichters der 20. Zivilkammer des LG Hannover vom 21.2.2011 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 79 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 21 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beide Parteien dürfen die Vollstreckung wegen der Kosten des Berufungsverfahrens ihrer Gegenseite durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des jeweils aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des von ihr zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schadensersatz und hier insbesondere einen Verdienstausfallschaden aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 9.5.2000.
Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 635 f. d.A. samt Tatbestandsberichtigungsbeschluss Bl. 674 d.A.).
Entgegen der Darstellung in Tatbestand und im Eingang der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (einerseits heißt es auf LGU 8 oben, die Beklagten bestritten den Haftungsgrund, andererseits soll nach LGU 10 oben die grundsätzliche Haftung der Beklagten zwischen den Parteien unstreitig sein) haben die Beklagten tatsächlich (nur) die Kausalität zwischen dem unstreitigen Unfall und der Querschnittslähmung des Klägers bestritten und insoweit einen vollständigen Nachweis der Ursächlichkeit gem. § 286 ZPO verlangt. Diese Kausalität hat das LG aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. bejaht (LGU 11) und deshalb unter Bezug auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Kaufmann G. einen Anspruch auf Ersatz eines Verdienstausfallschadens i.H.v. 131.808 EUR zuerkannt, außerdem die weitere Ersatzpflicht der Beklagten festgestellt, soweit nicht insoweit bereits die Ansprüche abgefunden worden sind. Im Übrigen hat die Kammer die Ansprüche des Klägers verneint, insbesondere weiteren Verdienstausfall sowie die Anschaffungskosten für das Wohnmobil (LGU 11 f.). Beim bezifferten Haushaltsführungsschaden sah die Kammer die von der Beklagten zu 1 übernommenen 80 % als ausreichend an; der Kläger sei in der Lage, den Haushalt zu 20 % zu führen (LGU 16).
Beide Parteien greifen das Urteil des LG an:
Die Beklagten meinen, der Verdienstausfallschaden sei nicht hinreichend belegt worden (Bl. 712 f. d.A.). Die Kammer habe verfahrensfehlerhaft entschieden. Sie habe einerseits am 22.4.2010 einen Hinweis- und Auflagenbeschluss erlassen (Bl. 549 f. d.A.), nach dem der Kläger seine Einnahmen in den Jahren 1997 bis 2000 detailliert aufzuschlüsseln hatte, andererseits nicht die prozessualen Konsequenzen daraus gezogen, dass der Kläger diese Auflage nicht erfüllt habe. Tatsächlich sei das Gutachten des Sachverständigen G. unzureichend.
Für die Berechnung des Erwerbsschadens fehle es somit an der D...