Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwägung der Tiergefahr und Betriebsgefahr eines LKW bei Begegnung von Reiter und Fahrzeug und beiderseitigem leichten Verschulden
Leitsatz (amtlich)
1. Sowohl beim Passieren als auch beim Begegnen eines Reiters sollte ein Fahrzeug - abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls - einen Seitenabstand von wenigstens 1,50 m bis etwa 2,00 m einhalten.
2. Auch wenn das Bankett nicht zur Fahrbahn gehört, kann es die konkrete Verkehrs-lage als sachgerechte und vernünftige Maßnahme erscheinen lassen, das Bankett mitzubenutzen, um z. B. den gebotenen Seitenabstand zu einem Reiter einhalten zu können.
Normenkette
BGB § 840 Abs. 3; StVG §§ 7, 17-18; StVO § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 2; VVG § 115
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Aktenzeichen 5 O 282/14) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 7. September 2017 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden (5 O 282/14) wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von den Beklagten Schadensersatz nach einem Verkehrsun-fall, bei dem das Pony der Klägerin verletzt und infolgedessen eingeschläfert wurde.
Am 20.04.2011 ritt die damals 13-jährige Tochter der Klägerin, die Zeugin T. M., zwischen 11:00 Uhr und 12:00 Uhr auf der 6-jährigen Ponystute "Sunny Surprise" der Klägerin auf der rechten Fahrbahnseite der Verlängerung des S.weges in S., OT E. Bei der Verlängerung des S.weges handelt es sich um eine einspurige Fahrbahn mit Randstreifen auf beiden Seiten.
Der Zeugin T. M. kam der Beklagte zu 1 mit einem Lkw (Sattelzugmaschine mit Auflieger) der Beklagten zu 2, der bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversichert ist, entgegen. Die Zeugin M. parierte ihr Pferd zum Halten durch und stellte es auf dem aus ihrer Sicht rechten Seitenstreifen leicht schräg mit dem Kopf des Pferdes in Richtung Fahrbahn, als sich der Lkw näherte. Dabei blieb sie auf dem Pferd sitzen.
Der Beklagte zu 1 verlangsamte seine Geschwindigkeit und passierte Pferd und Reiterin, wobei er den Lkw ganz nach rechts auf der asphaltierten Fahrbahn lenkte. Als der Lkw Pferd und Reiterin etwa zur Hälfte passiert hatte, scheute das Pferd. Ob es zu einer Berührung mit dem Lkw kam, steht im Streit. Jedenfalls verletzte sich das Pferd schwer, weshalb es in der Folge eingeschläfert wurde.
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin neben der Erstattung von Behandlungskosten insbesondere den Wert des Pferdes ersetzt.
Erstinstanzlich hat sie die Ansicht vertreten, der Beklagte zu 1 hätte den Seitenstrei-fen, der auch befahrbar gewesen sei, nutzen müssen, um ein gefahrloses Passieren durch die Reiterin zu ermöglichen. Stattdessen sei er ohne den notwendigen Min-destabstand von 1,50 bis 2,00 Metern an der Reiterin vorbeigefahren. Außerdem hat die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 1 habe beim Vorbeifahren Gas gege-ben, wodurch sich das Pferd erschreckt habe. Es sei sodann durch die Berührung mit dem Lkw schwer verletzt worden. Es habe keine Aussicht auf Heilung bestan-den, weshalb es tierschutzgerecht zu euthanasieren gewesen sei. Das Pony habe einen Verkehrswert von 10.000 Euro gehabt.
Die Beklagten sind ihrer Inanspruchnahme entgegengetreten. Der Beklagte zu 1 habe die gefahrene Geschwindigkeit auf Schrittgeschwindigkeit reduziert, ein "Gas-geben" habe nicht stattgefunden. Die Nutzung des Seitenstreifens sei objektiv un-möglich gewesen aufgrund des Gewichts des Fahrzeugs. Eine Unterschreitung des Mindestabstandes sei nicht erfolgt. Das Pony habe auch nicht wegen eines Moto-rengeräuschs gescheut. Zu einer Berührung mit dem Lkw sei es nicht gekommen, das Pony habe sich wohl infolge des Steigens die Hufverletzung zugezogen. Es habe sich daher die typische Tiergefahr verwirklicht. Die Beklagten haben zudem die Ansicht vertreten, es sei ein Mitverschulden auf Seiten der Klägerin anzuneh-men, weil sie ihrer erst 13-jährigen Tochter erlaubt habe, mit einem jungen Pferd am Straßenverkehr teilzunehmen. Die Zeugin M. hätte außerdem absteigen und das Tier an der Trense halten müssen. Schließlich haben die Beklagten Einwände zur Höhe erhoben.
Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen, der Einholung eines Unfallre-konstruktionsgutachtens sowie eines weiteren Gutachtens zum Verkehrswert des Pferdes die Beklagten auf Basis einer hälftigen Haftung zur Zahlung von insgesamt 4.185,64 EUR nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, der Beklagte zu 1 habe die ihm aufgrund §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 2 StVO obliegenden Pflichten nicht beachtet, weil er keinen ausreichenden Abstand zur Reiterin einge-halten habe, was ihm bei Nutzung des Seitenstreifens, der nach dem Ergebnis der Begutachtung befahrbar gewesen sei, objektiv möglich gewesen wäre; andernfalls hätte er anhalten und die Reiterin passieren lassen müssen. Demgegenüber sei der Klägerin kein über die allgemeine Tier...