Leitsatz (amtlich)
1. Die Herstellungspflicht des Auftragnehmers beschränkt sich nicht auf die Einhaltung der vereinbarten Leistung oder Ausführungsart. Die Leistungsvereinbarung der Parteien wird überlagert von der Herstellungspflicht, die dahin geht, ein nach den Vertragsumständen zweckentsprechendes, funktionstaugliches Werk zu erbringen. Wenn eine Funktion nach dem Vertrag vorausgesetzt ist oder sogar vereinbart wird, dann muss der Auftragnehmer die Funktion herbeiführen. Das ist Gegenstand der Beschaffenheitsvereinbarung und damit der geschuldete Erfolg.
2. Ist das Werk vom Unternehmer nicht zweckentsprechend und funktionstauglich hergestellt, so ist es mangelhaft. Selbst wenn die Mangelursache im Verantwortungsbereich des Auftraggebers liegt, haftet der Auftragnehmer, es sei denn, er hat die ihm nach § 4 Nr. 3 VOB/B obliegende Mitteilung gemacht.
3. Eine für sich genommen unzureichende Fristsetzung des Auftraggebers zur Mängelbeseitigung macht eine weitere Fristsetzung entbehrlich, wenn das Verhalten des Auftragnehmers nach einer solchen Fristsetzung erwarten lässt, dass er sich seiner Pflicht zur Mängelbeseitigung entziehen werde.
4. Eine Vorteilsausgleichung im Hinblick auf eine durch die Nachbesserung erhöhte Lebensdauer des Werks kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn dieser Vorteil ausschließlich auf einer Verzögerung der Mängelbeseitigung beruht und sich der Auftraggeber jahrelang mit einem fehlerhaften Werk begnügen musste. Der Auftragnehmer darf dadurch, dass der Vertragszweck nicht sogleich, sondern erst später im Rahmen der Gewährleistung erreicht wird, keine Besserstellung erfahren.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 11. Dezember 2019 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und wie folgt gefasst:
a. Es wird festgestellt, dass die Restforderung der Beklagten aus ihrer Schlussrechnung Nr. W11067SN vom 16. Juli 2018 für den Ausbau der Kreisstraße A zwischen W. und R. in Höhe eines Teilbetrages von 147.458,73 Euro durch Aufrechnung erloschen ist.
b. Es wird festgestellt, dass die weitergehende Forderung der Beklagten aus der Schlussrechnung der Beklagten Nr. W11067SN vom 16. Juli 2018 für das Bauvorhaben "Ausbau der Kreisstraße A zwischen W. und R." derzeit nicht fällig ist.
c. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
d. Die Widerklage der Beklagten wird abgewiesen.
2. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu 34 % und der Kläger zu 66 % zu tragen. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Von den Kosten des selbständigen Beweisverfahrens 20 OH 18/12 des Landgerichts Hildesheim tragen der Kläger 69 % und die Beklagte 31 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
6. Der Streitwert wird für den ersten Rechtszug auf bis 350.000 Euro und für das Berufungsverfahren auf bis 1.000.000 Euro festgesetzt.
Gründe
A. Die Parteien streiten um Vergütungs- und Gewährleistungsansprüche aus zwei Bauvorhaben.
Auf der Grundlage eines Angebots der Beklagten vom 29. September 2006 beauftragte der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 6. November 2006 mit dem Ausbau der Kreisstraße B (KB) zwischen M. und O. Dem Vertrag lagen die VOB/B Ausgabe 2002 sowie die besonderen Vertragsbedingungen des Klägers zugrunde. Der Vertrag sah vor, auf die vorhandene Straße im sog. Hochausbau eine zusätzliche Asphalttrag- und -deckschicht aufzutragen, die Straße im sog. Tiefausbau oder Vollausbau zu verbreitern und - für den Rechtsstreit ohne Bedeutung - einen Fahrradweg parallel zur Straße herzustellen. Wegen der Einzelheiten des Vertrages wird auf die Anlagen K 1 und K 2 (Bl. 18 f., 20 f. d. A.) sowie auf das Leistungsverzeichnis Baubeschreibung KB (Bl. 104 ff. der Beiakten 2 OH 18/12; nachfolgend: BA) sowie den Auszug aus der Baubeschreibung gemäß Anlage BB 4 (Bl. 943 d.A.) Bezug genommen.
Die Arbeiten wurden in den Jahren 2006 und 2007 in zwei Bauabschnitten ausgeführt. Die Abnahme des ersten Bauabschnitts erfolgte am 7. Juni 2007 (Bl. 8 BA), die des zweiten Bauabschnitts am 17. September 2007 (Bl. 9 f. BA). Am 23. November 2007 erstellte die Beklagte eine Schlussrechnung, auf die der Kläger mehrere Teilzahlungen leistete. Mit Schreiben vom 20. Juli 2009 machte die Beklagte Verzugszinsen in Höhe von 7.479,03 Euro geltend, die sie zunächst mit Blick auf weitere Aufträge nicht weiterverfolgte.
Am 31. Mai 2011 führten die Parteien eine Gewährleistungsabnahme für den ersten Bauabschnitt durch (Bl. 11 ff. BA). Die Gewährleistungsabnahme für den zweiten Bauabschnitt fand im September 2011 statt (Bl. 15 ff. d. A.). Ob dies an dem in ...