Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Verschulden eines Verkehrsteilnehmers bei unverschuldet eingetretener, unvorhersehbarer Gefahrenlage
Normenkette
StVG § 7 Abs. 1, § 17; StVO § 3 Abs. 1 S. 4, § 9 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Stade (Urteil vom 23.07.2014; Aktenzeichen 2 O 69/14) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels das Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des LG Stade vom 23.7.2014 teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 2.282,83 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.3.2014 zu zahlen sowie weitere EUR 83,85.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz haben die Klägerin zu 67 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 33 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
(§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO):
Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet.
Die der Klägerin infolge des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls vom 19.12.2012 entstandenen Schäden sind nach einer Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten auszugleichen. Insoweit war das Urteil des LG teilweise abzuändern.
1. Dass das streitgegenständliche Unfallereignis für den Fahrer des Lkw der Klägerin unabwendbar i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG gewesen sei, hat diese nicht nachgewiesen. Aber auch die Beklagten haben eine Unabwendbarkeit des Unfalls i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG für den Beklagten zu 1 als Fahrer des am Unfall beteiligten Pkw nicht nachgewiesen. Somit bestimmt sich die Haftungsverteilung unter Berücksichtigung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gem. § 17 Abs. 1 und 2 StVG. Insoweit kommt es daher für die Ermittlung der Haftungsquote darauf an, inwieweit der Schaden überwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Die Gesamtbetrachtung rechtfertigt eine Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten.
2. Der Fahrer des Lkw der Klägerin hat den Unfall mitverschuldet.
Dieser Fahrer hat gegen die ihm gem. § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO obliegende Verpflichtung verstoßen. Er durfte nur so schnell fahren, dass er innerhalb der übersehbaren Wegstrecke halten konnte, was hier nicht der Fall war, da es sonst nicht zur Kollision hätte kommen können.
Der Klägerin hätte insoweit der Beweis oblegen, dass der Beklagte zu 1 das Wendemanöver so unvorhersehbar vorgenommen hätte, dass der Fahrer ihres Lkw damit nicht hätte rechnen und sein Fahrverhalten entsprechend einstellen können. Derartiges haben sie indes nicht bewiesen. (s. auch 4. b)
3. a) Da der Beklagte zu 1 unstreitig beabsichtigt hat, sein Fahrzeug auf der B 73 zu wenden, hat er den Sorgfaltsanforderungen aus § 9 Abs. 5 StVO unterlegen. Er musste sich also so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Da es im Rahmen dieses Wendemanövers zu dem Verkehrsunfall gekommen ist, spricht gegen den Beklagten zu 1 der erste Anschein, dass er diesen Anforderungen nicht genügt hat (vgl. auch BGH, DAR 1984, S. 85, Az.: VI ZR 141/82).
b) Unerheblich ist es insoweit, dass sich die Kollision der beiden Fahrzeuge auf der Gegenfahrbahn ereignet hat, weil sich der Verkehrsunfall gleichwohl noch im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zum Wendemanöver ereignet hat und dieses für den Beklagten zu 1 noch nicht abgeschlossen war.
c) Die Beklagten haben den Anschein, der Beklagte zu 1 habe gegen die Sorgfaltspflicht des § 9 Abs. 5 StVO verstoßen, nicht entkräftet.
aa) Die Beklagten haben zwar in der Klageerwiderung behauptet (Bl. 62 d.A.), der Beklagte zu 1 habe bei einer ersten Rückschau wahrgenommen, dass sich der Lkw der Klägerin in großer Entfernung hinter ihm befunden habe. Anschließend habe er den linken Blinker gesetzt, sich nochmals darüber vergewissert, dass der Abstand zum Lkw noch deutlich gewesen sei, seine Fahrgeschwindigkeit deutlich verringert und sei sodann zum Wenden nach links abgebogen. Zum Beweis dieser Behauptung haben sich die Beklagten ausschließlich auf die Parteianhörung des Beklagten zu 1 berufen.
Zwar hat der Beklagte zu 1 anlässlich seiner Anhörung durch das LG und im Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren insoweit erklärt, er habe zunächst geblinkt und dann das Wendemanöver begonnen, indem er über die Mitte der Gegenfahrbahn gefahren sei. Dabei sei es zur Kollision gekommen.
bb) Indes hat der Unfallzeuge G. im Ordnungswidrigkeitenverfahren schriftlich erklärt, Blinkzeichen habe der Fahrer des Mercedes, also der Beklagte zu 1, vor dem Wendemanöver nicht vorgenommen.
Bei Berücksichtigung dieser Gesamtumstände ist es nicht zu beanstanden, dass das LG nicht die Überzeugung gewonnen hat, der Beklagte zu 1 habe das Wendemanöver rechtzeitig i.S.v. § 9 Abs. 5 StVO angezeigt und eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen.
cc) Anders als die Beklagten meinen, ist es unerheblich, dass sich die Kollision auf der Gegen...