Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Hundehalters gegenüber dem Tierarzt
Leitsatz (amtlich)
1. Der Schutzzweck der Gefährdungshaftung ist nur dann nicht mehr betroffen, wenn der Geschädigte die Herrschaftsgewalt über ein Tier vorwiegend im eigenen Interesse und in Kenntnis der damit verbundenen besonderen Tiergefahr übernimmt.
2. Ein Tierarzt, der ein Tier im Auftrag des Halters medizinisch versorgt, handelt nicht auf eigene Gefahr, sondern zur Erfüllung eines Behandlungsvertrages. Die Einstandspflicht des Tierhalters gem. § 833 Satz 1 BGB für dabei entstandene Schäden des Tierarztes ist in diesen Fällen gerechtfertigt.
3. Ein Mitverschulden des Tierarztes bei der Schadensentstehung ist allein nach § 254 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen.
Normenkette
BGB § 254 Abs. 1, § 833 S. 1
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 17.10.2011; Aktenzeichen 19 O 348/07) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17.10.2011 verkündete Grund- und Teilurteil der 19. Zivilkammer des LG Hannover (Geschäftsnummer: 19 O 348/07) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 1) und 3) dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von 50 % gerechtfertigt.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger 50 % aller materiellen und - soweit nicht vorhersehbar - weiteren immateriellen Zukunftsschäden aus Anlass des Hundebisses vom ... zu ersetzen, soweit kein öffentlich-rechtlicher Forderungsübergang stattfindet.
3. Die weiter gehende Feststellungsklage wird abgewiesen.
4. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Im Übrigen werden die Berufungen des Klägers und der Beklagten zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Dieses Urteil ist vorläufig vorstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf-grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v.
110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 115.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Einstandspflicht für materielle und zukünftige immaterielle Schäden aus Tierhalterhaftung in Anspruch.
Der Kläger ist Tierarzt. Die Beklagte war Halterin eines Schäferhundes, der bereits mehrfach in der Kleintierklinik des Klägers behandelt worden war. Im Rahmen einer stationären Behandlung des Hundes am ... wurde eine Rektoskopie in Allgemeinnarkose vorgenommen. Bei der anschließenden Umlagerung des aus der Narkose erwachenden Hundes beugte sich die angestellte Tierärztin des Klägers, die Zeugin ..., über diesen und wurde in beide Unterarme gebissen. Sie schrie auf und verließ den Aufwachraum. Nachdem der Kläger den Aufwachraum betreten und sich über den Hund gebeugt hatte, wurde auch er in seine rechte Hand gebissen.
Der Kläger hat behauptet, der Schäferhund der Beklagten sei plötzlich hochgefahren und habe die Zeugin ... unmotiviert in beide Unterarme gebissen. Die Zeugin sei ihm auf dem Gang entgegengekommen, habe aber nicht mitgeteilt, was passiert war. Der Aufschrei habe ihm signalisiert, dass es zu einem postoperativen Zwischenfall gekommen sein könne, weswegen er unverzüglich die Vitalfunktionen des Hundes habe überprüfen müssen. Als er den Aufwachraum betreten habe, habe der Hund zunächst flach auf der Erde gelegen, sich dann jedoch aufgerichtet und ihn unmotiviert in seine rechte Hand gebissen.
Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 15.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 16.6.2007 zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagte dem Kläger alle materiellen und, soweit nicht vorhersehbar, weiteren immateriellen Zukunftsschaden aus Anlass des Hundebisses vom ... zu ersetzen hat, soweit kein öffentlich-rechtlicher Forderungsübergang stattfindet;
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.578,14 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 16.6.2007 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat den Unfallhergang mit Nichtwissen bestritten.
Das LG Hannover hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung und Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Klage mit Grund- und Teilurteil vom 17.10.2011 (Geschäftsnummer: 19 O 348/07, Bl. 342 d.A.) dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von 1/4 für gerechtfertigt erklärt. Die weiter gehende Feststellungsklage hat es abgewiesen. Zur Begründung hat das LG Hannover im Wesentlichen ausgeführt, dass sich in den Bissen die spezifische...