Leitsatz (amtlich)
1. Ist streitig, ob Geldabhebungen, mit welcher der Erblasser die Entziehung des Pflichtteils in seinem Testament begründet hat, kraft Vollmacht des Erblassers eigenmächtig oder wegen vorangegangener Schenkung erfolgt sind, muss der auf den Pflichtteil in Anspruch genommene Erbe die nach Ort, Zeit und Umständen von dem Pflichtteilsberechtigten vorgetragene Schenkung widerlegen, weil sie als Einwilligung in den Gebrauch der Vollmacht zur Abhebung der Gelder schon den Tatbestand der Untreue und nicht erst die allgemeine Rechtswidrigkeit der Tat ausschließt.
2. Hält der Pflichtteilsberechtigte die in Wahrheit vorliegende Einwilligung irrtümlich für nicht gegeben, rechtfertigt dieses keinen Entzug des Pflichtteils, weil der Erblasser das Verhalten gebilligt hatte.
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 05.03.2003; Aktenzeichen 12 O 119/02) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 5.3.2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des LG Hannover abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 20.953,76 Euro nebst Zinsen p.a. i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.11.2001 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-Fachen des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des 1,1-Fachen des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Klägerin verlangt den Pflichtteil nach ihrem am 24.7.1912 geborenen und am 5.8.2001 verstorbenen Vater …
Sie ist dessen einziger Abkömmling aus dessen Ehe mit der im Jahre 1979 vorverstorbenen … Im selben Jahr heiratete die Klägerin und erhielt von dem Erblasser aus diesem Anlass ein Geldgeschenk – ob 5.000 oder 2.500 DM, ist streitig. Die Klägerin, die damals in … wohnte, besuchte den Erblasser an Wochenenden in …, machte bei ihm sauber, wusch ihm die Kleidung, kochte und erledigte Schriftverkehr für ihn. Er kam auch zum Essen zu ihr. Der Erblasser hatte alsbald eine Lebensgefährtin, die nach acht Jahren verstarb. Danach kümmerte die Klägerin sich um den Erblasser in der geschilderten Weise, anfangs – nach Umzug aus … – von … aus, seit 1994 von … aus, wohin ihre Familie gezogen war. In diesem Jahr bekam sie von dem Erblasser 20.000 DM für den Bau einer Garage. Ansonsten war der Erblasser, von Beruf Schlosser, sparsam, wenn nicht geizig. Am 11.5.1995 erteilte der Erblasser der Klägerin notarielle Generalvollmacht über seinen Tod hinaus.
Als die Klägerin dem Erblasser auf dessen Bitte seine Brille aus dem Altenheim, in welchem er inzwischen wohnte, ins Krankenhaus holte, entdeckte sie in der unverschlossenen Nachttischschublade in dessen Zimmer im Heim dessen zwei Sparbücher. Im Einverständnis mit dem Erblasser nahm sie diese sicherheitshalber in Verwahrung. Während eines erneuten Krankenhausaufenthalts des Erblassers stieß die Klägerin bei ihrem Krankenbesuch am 6.4.1999 auf die ihr unbekannte Beklagte. Der Erblasser eröffnete ihr, diese sei ihre Halbschwester. Am 8.4.1999 löste die Klägerin das eine Sparkonto bei der Kreissparkasse H.P. mit dem Guthaben von 20.532,87 DM auf, am 13.4.1999 das andere mit dem Guthaben von 183.224,03 DM. Diese beiden Beträge vereinnahmte sie für sich. Durch notarielles Testament vom 15.4.1999 setzte der Erblasser die Klägerin als Alleinerbin ein und bestimmte, die Beklagte solle nicht erben. Am 22.4.1999 nahm die Klägerin 56.636,86 DM vom Termingeldkonto des Erblassers an sich. Dieser behielt etwa 10.500 DM Girokonto-Guthaben und ein Grundstück, das er mit Vertrag vom 26.7.2001 für 50.000 DM verkaufte. Der Erblasser bezog zum Schluss ungefähr 2.200 DM Monatsrente und Pflegegeld der Stufe I.
Durch notarielles Testament vom 9.8.2000 bestimmte der Erblasser die Beklagte zur Alleinerbin und entzog der Klägerin den Pflichtteil mit der Begründung, sie habe entgegen seinen Anweisungen über 250.000 DM Sparguthaben auf sich übertragen, obwohl eine Schenkung nicht, sondern lediglich die Verwaltung dieser Guthaben vereinbart gewesen sei. Seinem Bruder … wandte er ein Vermächtnis i.H.v. 20.000 DM zu als Ausgleich für langjährige Betreuung und für künftige Grabpflege. Am 15.5.2000 unterschrieb der Erblasser Vollmacht für seinen Bruder …, ihn in allen Finanz und Beratungsangelegenheiten zu vertreten. Mit Anwaltsschreiben vom 23.5.2000 widerrief der Erblasser die Generalvollmacht der Klägerin ggü. der Sparkasse … (vormals: Kreissparkasse …). Mit ebensolchem vom selben Tage forderte der Erblasser von der Klägerin das Geld zurück. Diese erwiderte mit Anwaltsschreiben vom 2.6.2000, der Erblasser habe sich, weil er ihr seine nichteheliche Tochter jahrelang verheimlicht habe, sofort veranlasst gesehen, ihr – der Klägerin – das Geld zu schenken; die Schenkung sei im Einvernehmen mit dem Erblasser sofort vollzogen worden. Der Schriftwechsel, der sich daran...