Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen der Gefährdungshaftung des StVG ist die Verantwortlichkeit von Halter und Fahrer auf solche Schäden beschränkt, in denen sich gerade die von einem Kraftfahrzeug als solchen ausgehenden Gefahren aktualisiert haben.
2. Die Vorschriften des Straßenverkehrs bezwecken auch den Schutz der körperlichen Integrität anderer Personen einschließlich im Anschluss an einen Verkehrsunfall etwa bei der Bergung oder bei der Unfallaufnahme erlittener Verletzungen.
Das gilt aber nicht für psychische Belastungen aus den Auseinandersetzungen zur Klärung des Unfallhergangs und der Schuldfrage. Denn es ist nicht Aufgabe der Verkehrsvorschriften, den Geschützten vor den psychischen oder physischen Belastungen eines etwa gegen ihn gerichteten Ermittlungs- oder Strafverfahrens oder der zivilrechtlichen Regulierung seines Schadens zu schützen.
Deshalb fehlt es an einem haftungsrechtlichen Zusammenhang, wenn ein Geschädigter sich über einen Verkehrsunfall und das anschließende Verhalten des Schädigers derart aufregt, dass es dadurch bei dem Geschädigten zu einer Gehirnblutung mit einem Schlaganfall kommt.
Normenkette
ZPO §§ 286-287
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Urteil vom 13.07.2009; Aktenzeichen 8 O 542/07) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin zu 1 gegen das Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des LG Verden vom 13.7.2009 wird als unzulässig verworfen.
Die Berufung des Klägers zu 2 gegen dieses Urteil wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten des Berufungsverfahrens durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 22.10.2004, bei dem die Kläger plötzlich und für sie überraschend als Insassen eines Mercedes Geländewagens von hinten von einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw Renault Clio angefahren wurden. Die uneingeschränkte Haftung der Beklagten dem Grund nach ist unstreitig. Die Klägerin zu 1 (folgend: Klägerin) erlitt durch den Unfall eine Nackenmuskelzerrung, ein "Rasanztrauma" sowie eine Prellung der rechten Schulter und des rechten Ellenbogens. Der Kläger zu 2 (im Folgenden: Kläger) erlitt bei dem Unfall ebenfalls ein "Rasanztrauma", außerdem Prellungen des linken Oberarms und des linken Mittelfingers sowie im Brust- und Bauchbereich durch den Gurt, ferner eine HWS- und Brustbeinzerrung sowie Frakturen der 5., 9. und 10. Rippe links. Beide Kläger befanden sich bereits vor dem Unfall in ärztlicher Behandlung, der Kläger insbesondere wegen Herz- und Kreislaufproblemen. Deshalb war ihm bereits vor dem Unfall attestiert worden, zu 50 % schwerbehindert zu sein. Ca. 9 Monate nach dem Verkehrsunfall - etwa Sommer 2005 - erlitt der Kläger einen Schlaganfall.
Mit der Klage macht der Kläger vor allem Ausgleich von Rechnungen i.H.v. 142.591,70 EUR geltend, die ihm seine Mutter, die mittlerweile 87 Jahre alte Zeugin B., für von ihr im Zeitraum von Herbst 2004 bis Herbst 2008 selbst erbrachte oder vermittelte Leistungen gestellt hat. Die Klägerin begehrt die Erstattung von Medikamentenkosten. Außerdem haben die Kläger die Feststellung der weiteren Schadensersatzverpflichtung der Beklagten beantragt.
Das LG hat die Zahlungsansprüche der Kläger abgewiesen und nur den Feststellungsantrag für begründet gehalten. Insbesondere sei der Verkehrsunfall vom 22.10.2004 nicht adäquat kausal für die Beschwerden des Klägers (Schlaganfall und darauf beruhende Sehbehinderung) gewesen. Es fehle bereits an der haftungsbegründenden Kausalität. Der Beklagten sei auch keine über das Unfallgeschehen hinausgehende selbständige und eigene Pflichtverletzung vorzuwerfen, soweit der Schlaganfall darauf zurückzuführen sei, dass sich der Kläger über die Korrespondenz mit der Beklagten aufgeregt hat. Im Übrigen hat das LG die geltend gemachten Positionen auch nicht für nachgewiesen erachtet (LGU 7 f.). Dabei hat die Kammer ausgeführt, die Unfähigkeit des Klägers, seinen Haushalt ab dem 24.5.2005 selbst zu führen, beruhe nicht auf dem Unfall. Unmittelbar nach der Entlassung aus der Klinik im Oktober 2004 sei er in der Lage gewesen, sich um seinen Haushalt selbst zu kümmern. Die Zäsur habe erst der Schlaganfall dargestellt. Ein medizinisches Gutachten zu der Problematik
hätte nicht eingeholt werden müssen, weil davon auszugehen sei, dass auch ein Sachverständiger nicht in der Lage wäre, mit Sicherheit auszuschließen, dass das Schmerzsyndrom, unter dem der Kläger angibt zu leiden, auf eine andere Ursache als den Unfall, etwa den Schlaganfall, zurückzuführen sein könnte, worauf es jedoch für die Frage der haftungsausfüllenden Kausalität angesichts der sonstigen erheblichen nicht unfallbed...