Entscheidungsstichwort (Thema)
Deliktische Haftung des Fahrzeugherstellers im Rahmen des "Diesel-Abgasskandals"
Leitsatz (amtlich)
1. Die Behauptung einer Abschalteinrichtung ist als unbeachtlich anzusehen, wenn der Vortrag nicht ausreichend substantiiert bzw. "ins Blaue hinein" oder "aufs Geratewohl" erfolgt ist. Dies kommt in Betracht, wenn ein Rückruf für das jeweilige Fahrzeug durch das Kraftfahrt-Bundesamt nicht angeordnet worden ist und keine sonstigen konkreten Anhaltspunkte für eine Abschalteinrichtung vorgetragen werden (Anschluss an OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, 10 U 134/19).
2. Die EG-Typengenehmigung entfaltet als Verwaltungsakt grundsätzlich Tatbestandswirkung für die Zivilgerichte. Solange dieser nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist, ist die Zulässigkeit der betreffenden Abschalteinrichtung im Sinne des Artikel 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG einer Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen (vgl. BGH, Urteil vom 30.04.2015 - I ZR 13/14, BGHZ 205, 195, Rn. 31, m.w.N.).
3. Trotz Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts kann ein Sachmangel vorliegen, der neben vertraglichen unter weiteren Voraussetzungen auch deliktische Ansprüche auslösen kann, wenn feststeht, dass eine objektiv rechtswidrige Genehmigung durch den Fahrzeughersteller aufgrund einer Täuschung erschlichen worden ist, wie dies beim Einsatz einer sogenannten "Schummelsoftware" (Prüfstanderkennungssoftware) angenommen werden muss (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 79, 80) und als Folge deshalb mit einer Betriebsuntersagung oder gar dem Widerruf der erschlichenen Typengenehmigung gerechnet werden muss (vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2019 - VIII ZR 225/17, juris, Rn. 20, 21).
4. Eine Sittenwidrigkeit kommt bei der Verwendung eines "Thermofensters" nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer solchen Einrichtung hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass dies von Seiten des Herstellers in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (Anschluss an OLG Stuttgart a.a.O.).
Normenkette
BGB §§ 31, 826; EGVO 715/2007 Art. 5 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Urteil vom 26.09.2018; Aktenzeichen 8 O 32/18) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 26.09.2018 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das angefochtene landgerichtliche Urteil sowie das vorliegende Berufungsurteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Streitwert für das Berufungsverfahren:
(26.062,22 EUR + 2.000 EUR =) 28.062,22 EUR.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte als Verkäuferin und als Herstellerin des von ihm seinerzeit gekauften Pkws Mercedes-Benz im Rahmen des sog. "Diesel-Abgasskandals" auf Schadensersatz in Anspruch. Im Berufungsverfahren verfolgt der Kläger seine Ansprüche, die in erster Instanz vom Landgericht abgewiesen worden sind, weiter.
Gemäß Kaufvertrag vom 23.07.2014 und Rechnung vom 19.09.2014 erwarb der Kläger von der Beklagten einen Pkw Mercedes-Benz Typ A 200 CDI (Euro 6) zum Kaufpreis von 32.730,95 EUR. Dieses Fahrzeug ist nicht von Maßnahmen des Kraftfahrtbundesamtes (KBA), wohl aber von einem freiwilligen Rückruf seitens der Beklagten als Herstellerin zur Optimierung des Abgasverhaltens betroffen (vgl. Bl. 269 d. A.).
Der Kläger verlangt mit der vorliegenden Klage die Rückabwicklung des Kaufvertrags, vornehmlich aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes.
Der Kläger hat vorgetragen, das niederländische Umweltinstitut TNO habe im Auftrag des holländischen Umweltministeriums ein Gutachten über einen Mercedes-Benz C-Klasse 220 CDI BlueTEC erstellt, der die Euro-6-Norm habe erfüllen sollen. Dieses Fahrzeug mit dem Motor OM 651 sei im Straßenbetrieb getestet worden und habe erheblich höhere NOx-Werte als den gesetzlich zulässigen Grenzwert gezeigt. Auch seitens der Deutschen Umwelthilfe (DUH) habe es entsprechende Prüfberichte gegeben (Bl. 76 d. A.).
Der betreffende Motor sei auch in seinem Pkw verbaut, so dass für diesen dasselbe gelte. Die erhöhten Werte im Straßenbetrieb ließen darauf schließen, dass die zulässigen Grenzwerte nur auf dem Prüfstand hätten eingehalten werden können, mithin eine Prüfstanderkennungssoftware verbaut worden sei. Dies müsse der Vorstand der Beklagten gewusst haben. Der Einbau einer Prüfstanderkennungssoftware könne nicht von wenigen Mitarbeitern im Alleingang vorgenommen worden sein. Vielmehr seien mehrere Abteilungen involviert. Es habe eine Software programmiert werden müssen, die zuverlässig Prüfstandszenarien erkenne. Dies könne nicht am Vorstand vorbei geschehen sein.
Das Fahrze...