Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Entscheidung vom 18.12.1984; Aktenzeichen 7 O 387/84) |
Tenor
Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Ihre Berufung ist erledigt.
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 18. Dezember 1984 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Verden teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten zu 1) und 3) werden verurteilt, als Gesamtschuldner der Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 29. August 1984 zu zahlen.
Die Beklagten zu 1) und 3) sind verpflichtet, der Klägerin den bisher nicht vorhersehbaren zukünftigen immateriellen Schaden aus ihren Verletzungen bei dem Verkehrsunfall vom 16.6.1983 in W. unter Berücksichtigung einer Mitverursachungsquote der Klägerin von einem Drittel zu ersetzen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2). Im Übrigen fallen von den Kosten des Rechtsstreits der Klägerin 2/3 und den Beklagten als Gesamtschuldnern 1/3 zur Last.
Soweit durch den Berufungsantrag der Klägerin zu einem immateriellen Zukunftsschaden Gerichtskosten entstanden sind, werden diese nicht erhoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der Beschwer beträgt
a) für die Klägerin 8.500 DM,
b) für die Beklagten 4.000 DM.
Gründe
I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
II. Dass der Klägerin aus dem Verkehrsunfall vom 16.6.1983 in W. hinsichtlich ihres materiellen Schadens voller Schadensersatz zusteht, ist nicht im Streit. Kernpunkt des Rechtsstreits ist die Frage, ob die Klägerin bei dem Unfall angeschnallt war und wie sich ein möglicher Verstoß gegen § 21 a Abs. 1 StVO auf den Ersatz ihres immateriellen Schadens, insbesondere auf die Höhe eines Schmerzensgeldes auswirkt. Vorprozessual haben die Beklagten darauf 8.000 DM gezahlt.
Aufgrund des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen xxx i.V.m. seinen Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin zur Unfallzeit den automatischen Sicherheitsgurt in ihrem Wagen nicht angelegt hatte. Zwar mag die Klägerin selbst das Gegenteil für richtig halten. Zu Bedenken ist dabei aber, dass die beim Unfall erlittene Schädelbasisfraktur mit Hirnkontusion eine verlässliche Erinnerung an das zeitlich begrenzte Unfallgeschehen nahezu ausschließt; so erklärte sie denn auch auf eine an sie persönlich gerichtete Frage vor dem Senat, dass sie angeschnallt gewesen sein müsse, weil sie das immer getan habe. Ihre Aussage beruht also auf einem Rückschluss und nicht auf einem eigenen Erinnerungsbild.
Der Gutachter xxx, Leiter der Verkehrsunfallforschung an der Medizinischen Hochschule H., hat einleuchtend dargelegt, dass Art und Schwere der Verletzungen der Klägerin nicht erklärbar sind in angeschnalltem Zustand. Der exzentrische Anprall erfolgte überwiegend frontal; die Frontstrukturen deformierten und verhakten sich, so dass im Zeitpunkt der maximalen Stoßkraftübertragung beide Längsachsen einen Winkel von ca. 120 Grad bildeten. Dabei verlagert sich eine nicht angeschnallte Person nach rechts vorn; das Armaturenbrett wurde rechts gleichzeitig nach innen gedrückt. Ein Aufprall rechts neben dem Lenkrad führt zur Rippenserienfraktur und erklärt auch eine Skapularfraktur; der Kopf stößt durch die Scheibe und prallt auf die Haubenfläche. Die Verletzungen der Klägerin - Schädelbasisbruch mit Ausfluss von Cerebrospinalflüssigkeit, eine Hirnquetschung, eine perephere Gesichtslähmung rechts, eine Rippenserienfraktur mit Luftansammlung im Brustraum und ein Schulterblattbruch rechts - entsprechen diesem Bewegungsablauf. Zwar ist auch bei einem angegurteten Fahrer eine gewisse Auslenkung des Körpers möglich, in dieser Situation insbesondere ein geringes Herausdrehen des Oberkörpers aus dem von links oben nach rechts unten verlaufenden Schultergurt; aber das Sicherheitsgurtband liegt im Bereich des Beckens an und hält den Körper zurück.
Die hohe Traumatisierung im Kopfbereich und die Rippenserienfrakturen mit Pneumotorax, ganz besonders der Schulterblattbruch, wären jedoch mit einem Sicherheitsgurt nicht aufgetreten.
Der Gutachter, der über besondere Erfahrung auf dem Gebiet interdisziplinärer Bewertung verfügt und auch im vorliegenden Fall mit dem Chefarzt, Privatdozent xxx, zusammengearbeitet hat, bringt für die sachverständige Beurteilung des vorliegenden Falls seine Spezialkenntnis auf dem Gebiet der Biomechanik ein; damit hat er tagtäglich zu tun. Seine Sachkompetenz zeigt sich auch in den spontanen Stellungnahmen vor dem Senat zu den von der Klägerin mit Schriftsatz vom 26.5.1987 erstmals vorgetragenen Erkenntnissen. Während bislang immer nur von einer Serienrippenfraktur auf der rechten Seite ausgegangen worden war, soll eine Aufnahme aus einer Röntgenreihenuntersuchung vom Februar 1986 auf Rippenserienbrüche beiderseits hinweisen; gerade die Rippenbrüche beiderseits sind aber bei einem harten Aufprall auf das Armaturenbrett mit Brustkorb...