Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Schadensersatz bei EA288 wegen Verbotsirrtums
Normenkette
BGB §§ 31, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hildesheim (Urteil vom 17.02.2023; Aktenzeichen 5 O 201/22) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 17. Februar 2023 (Az. 5 O 201/22) wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 4.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. "Diesel-Abgasskandal" geltend.
Die Klägerin erwarb am 29. April 2019 von der A. GmbH in N. einen VW Passat Variant 2.0 TDI mit 110 kW zum Kaufpreis von 23.700 EUR brutto. Das am 23. Juni 2017 erstzugelassene Fahrzeug wies bei Erwerb durch die Klägerin eine Laufleistung von 35.600 km auf und ist mit einem Motor des Typs EA 288, Schadstoffklasse 6 mit NSK ausgestattet.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte wegen einer aus ihrer Sicht bestehenden Ausstattung des Fahrzeugs mit unzulässigen Abschalteinrichtungen - so insbesondere einer prüfstandbezogenen Manipulation des NOx-Katalysators in Form einer Fahrkurvenerkennung sowie eines Thermofensters - zum Schadensersatz verpflichtet sei. Dem ist die Beklagte unter Hinweis darauf, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut, insbesondere die an die Fahrkurvenerkennung geknüpften Funktionen zulässig seien, entgegengetreten.
Das Landgericht hat die zuletzt auf Ersatz sog. "kleinen" Schadensersatzes in Höhe von mindestens 15% des Kaufpreises, mithin also von mindestens 3.555 EUR sowie Freistellung von vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage durch Urteil vom 17. Februar 2023 (Bl. 252 ff. d. A.), auf das wegen der erstinstanzlichen Feststellungen und gestellten Anträge verwiesen wird, abgewiesen.
Dies hat es im Kern damit begründet, dass eine Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB ausscheide, weil die Klägerin vor dem Hintergrund der von der Beklagten vorgelegten Auskünfte des KBA keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgetragen habe, die den Schluss auf ein Handeln der für die Beklagte verantwortlichen Personen im Bewusstsein der Unrechtmäßigkeit zuließen. Auch komme keine deliktische Haftung der Beklagten auf anderer Anspruchsgrundlage - so insbesondere aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO (EG) 715/2007 in Betracht, da die Beklagte - auch in Bezug auf das unstreitig vorhandene Thermofenster - jedenfalls nicht schuldhaft gehandelt habe, da sie sich insoweit in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden habe.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.
Ihrer Ansicht nach habe das Landgericht ihren Vortrag zum Verbau unzulässiger Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug zu Unrecht als "ins Blaue hinein" erachtet und damit die Vortragsanforderungen überspannt. Aus dieser Vorgehensweise begründe sich ein Gehörsverstoß. Insbesondere habe das Landgericht verkannt, dass die Entscheidung, ob unzulässige Abschalteinrichtungen vorlägen, nicht dem KBA obliege. Deswegen hätte es dessen Wertungen nicht seiner Beurteilung zugrunde legen dürfen, sondern selbst die erforderliche Tatsachenfeststellung vornehmen müssen.
Außerdem hätte das Landgericht erkennen müssen, dass die Beklagte um die fehlende Übereinstimmung ihrer Fahrzeuge mit dem genehmigten Typ gewusst habe und ihr daher zumindest ein fahrlässiges Verhalten anzulasten sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von mindestens 15 % des Kaufpreises des Fahrzeugs (23.700 EUR), mindestens somit 3.555 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von den Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.295,43 EUR freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze, insbesondere auf die Berufungsbegründung vom 19. April 2023 (Bl. 314 ff. d. A.) verwiesen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 10. Juli 2023 (Bl. 424 ff. d. A.) die Parteien darauf hingewiesen, dass unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung des BGH durch die Entscheidungen vom 26. Juni 2023 (Az. VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) der Klägerin ein Anspruch auf den sog. Differenzschaden zustehen könnte.
Im Hinblick hierauf haben die Parteien ergänzend mit Schriftsätzen vom 8. Aug...