Entscheidungsstichwort (Thema)

Darlegung des Verfügungsgrundes für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bei Vertragsverletzung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Ziel der Untersagung der - erneuten - Löschung eines Beitrags in einem sozialen Netzwerk und der erneuten vorübergehenden Sperre des Nutzerkontos ist ein Verfügungsgrund im Regelfall gesondert darzulegen.

2. Dies gilt insbesondere, wenn der streitgegenständliche Beitrag vom Betreiber des sozialen Netzwerks wieder eingestellt worden ist.

 

Normenkette

ZPO §§ 935, 940

 

Verfahrensgang

LG Bückeburg (Aktenzeichen 1 O 54/21)

 

Tenor

Das Versäumnisurteil des Senats vom 9. Februar 2022 wird aufrechterhalten.

Dem Verfügungskläger werden die weiteren Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Zulässigkeit der Löschung eines Posts des Verfügungsklägers in dessen Nutzerkonto in dem von der Beklagten betriebenen sozialen Netzwerk "Facebook" sowie der daran anschließenden vorübergehenden Teilsperre des Nutzerkontos.

Am 9. März 2021 erklärte M. O. auf "Facebook", er werde "anstatt BIPoC" "im deutschen Kontext jetzt von in Zukunft SOJARME-Personen" reden. Das stehe für Schwarze, Osteuropäische, Jüdische, Asiatische, Roma-Sinti, und/oder Muslimische Personen." Er halte diese Abkürzung für zutreffender in deutschen Rassismus- & Diskriminierungsdiskursen.

Auf diesen Post erfolgten verschiedene Diskussionsbeiträge, unter anderem am 18. März 2021 der streitgegenständliche Post des Verfügungsklägers "O. will in den Duden. Or else.", verbunden mit einem GIF (Graphics Interchange Format, ein animiertes Bild), in dem ein Mann mit einer Pistole auf den Betrachter zielt.

Am gleichen Tag löschte die Verfügungsbeklagte den Post nebst GIF und sperrte Teilfunktionen des Nutzerkontos durch Versetzen in den sogenannten Read-Only-Modus für drei Tage mit der Begründung, der Beitrag verletze die Gemeinschaftsstandards. Am 8. April 2021 wurde nach den Feststellungen im landgerichtlichen Urteil der streitgegenständliche Beitrag wieder freigeschaltet.

Der Verfügungskläger begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung, der Verfügungsbeklagten zu untersagen, den Beitrag erneut zu löschen und/oder das Nutzerkonto wegen dieses Beitrags erneut zeitlich befristet zu sperren.

Im angefochtenen Urteil vom 27. August 2021 hat das Landgericht antragsgemäß die einstweilige Verfügung erlassen. Dazu hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Verfügungskläger habe einen Verfügungsanspruch auf Unterlassung der (künftigen) Löschung des streitgegenständlichen Beitrags und der Sperrung seines Nutzerkontos, auch die Voraussetzungen eines Verfügungsgrundes lägen vor. Die Verfügungsbeklagte könne sich nicht auf den Entfernung- und Sperrungsvorbehalt in Nummer 3.2 ihrer Nutzungsbedingungen berufen, weil dieser gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sei (vergleiche dazu BGH, Urteil vom 29. Juli 2021, Az III ZR 192/20 - juris). Die Verfügungsbeklagte sei auch nicht deshalb zur Entfernung des Beitrags berechtigt gewesen, weil dieser einen strafbaren Inhalt enthielte. Ein solcher liege - selbst nach den Ausführungen der Verfügungsbeklagten - nicht vor. Es bestehe eine Wiederholungsgefahr schon deshalb, weil die Verfügungsbeklagte den Beitrag in der Vergangenheit gelöscht und das Nutzerkonto für mehrere Tage gesperrt habe. Diese tatsächliche Vermutung einer Wiederholungsgefahr sei von der Verfügungsbeklagten nicht widerlegt worden. Sie habe sich geweigert, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Für eine Wiederholungsgefahr spreche auch der vom Verfügungskläger vorgelegte Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 23. Juni 2021, in dem die Verfügungsbeklagte rechtskräftig zu einer Unterlassung verpflichtet worden sei und sie gleichwohl dagegen verstoßen habe. Die Wiederholungsgefahr ergebe sich schließlich aus dem Beharren der Verfügungsbeklagten; die von ihr ergriffenen Maßnahmen seien rechtmäßig.

Der notwendige Verfügungsgrund liege ebenfalls vor. Die Eilbedürftigkeit werde im Äußerungsrecht regelmäßig vermutet. Eine Selbstwiderlegung liege nicht vor. Zur Verneinung der Wiederholungsgefahr könne die Verfügungsbeklagte sich nicht auf die genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofes beziehen. Dort habe dieser zwar die tatsächliche Vermutung einer Wiederholung als erledigt angesehen, was jedoch der dortigen besonderen prozessualen Konstellation geschuldet sei. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen das Urteil des Landgerichts wendet sich die Verfügungsbeklagte mit ihrer Berufung. Sie meint, sie sei trotz der Grundsätze in der Entscheidung des BGH (Urteil vom 29. Juli 2021, Az III ZR 179/20) berechtigt gewesen, den streitgegenständlichen Beitrag zu entfernen. Gerade der zweite Teil des Beitrages ("Or else" = anderenfalls, sowie die Abbildung, das den Leser in den Lauf einer Pistole blicken lasse) könne eine Assoziation mit der Befürwortung von Gew...

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