Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Schadensersatz wegen des Erwerbs eines PKW mit einer illegalen automatischen Abgasabschalteinrichtung
Leitsatz (amtlich)
Die Prognose der erwarteten Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt für die Berechnung der Nutzungsvorteile kann nicht anhand der tatsächlichen individuellen Durchschnittsfahrleistung erfolgen.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hildesheim (Urteil vom 03.12.2021; Aktenzeichen 4 O 226/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 3. Dezember 2021 geändert.
Die Beklagte hat an die Klägerin 2.600 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. März 2021 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 90%, die Beklagte zu 10%.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Mit Kaufvertrag vom 6. Dezember 2011 erwarb die Klägerin von der Beklagten einen von dieser hergestellten Pkw Mercedes-Benz C 200 CDI BlueEfficiency 2.1 l Diesel 105 kW OM 651 Euro 5 mit einem Kilometerstand von 11.481 km zu einem Kaufpreis von 26.000 EUR.
Am 5. April 2023 verkaufte die Klägerin das Fahrzeug für 10.900 EUR bei einem Kilometerstand von 65.000 km weiter. In dem Kaufvertrag, ein Formularvordruck, für dessen Einzelheiten auf die Anlage KII1 (Bd. III 596 f.) Bezug genommen wird, ist unter anderem folgende Klausel als § 5 enthalten:
"Der Ausschluss bzw. die Begrenzung der Sachmängelhaftung gilt nicht für Schadensersatzansprüche aus Sachmängelhaftung, die auf einer grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Verletzung von Pflichten des Verkäufers oder seiner Erfüllungsgehilfen beruhen sowie bei der Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit. Gegebenenfalls bestehende Ansprüche gegenüber Dritten aus Sachmängelhaftung werden vom Verkäufer an den Käufer abgetreten, der diese Abtretung annimmt."
Das Fahrzeug war bei Erwerb durch die Klägerin mit einem sog. "Thermofenster" ausgestattet, dessen Temperaturbereich, außerhalb dessen die Abgasrückführung reduziert wird, streitig ist. Daneben verfügte es über ein "Geregeltes Kühlmittelthermostat". Mit Bescheid vom 13. Dezember 2023 ordnete das Kraftfahrtbundesamt Nebenbestimmungen wegen der Verwendung des als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuften "Thermofensters" an. Bereits am 24. September 2019 wurde auf dem Fahrzeug der Klägerin ein Software-Update aufgespielt, mit dem die Funktion "Geregeltes Kühlmittelthermostat" aus der Motorsteuerung entfernt und das "Thermofenster" so aufgeweitet wurde, dass bei betriebswarmem Motor erst unterhalb von Umgebungslufttemperaturen von 0°C und oberhalb von Umgebungslufttemperaturen von 40°C die Abgasrückführungsrate schrittweise reduziert wird.
Die Klägerin hat behauptet, dass die im Kaufzeitpunkt aufgespielte Motorsteuerung die Abgasrückführungsrate bereits bei einstelligen Temperaturen reduziert habe.
Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, hat nach Einholung einer Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes (Bd. II 343) die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hatte zunächst ihre erstinstanzlichen Anträge mit der Berufung weiterverfolgt. Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2024 beantragt sie nunmehr unter Rücknahme der Berufung im Übrigen,
unter Änderung des angefochtenen Urteils,
die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 3.900 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Das ursprünglich verwendete "Thermofenster" habe die Abgasrückführungsrate außerhalb eines Temperaturbereichs von 18°C bis 32°C schrittweise reduziert. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung hinsichtlich der kaufrechtlichen Ansprüche erhoben (Bd. I 120, Bd. II 365).
II. Die Berufung ist, soweit sie noch zur Entscheidung des Senats gestellt ist, überwiegend begründet.
A. Die Klägerin hat die Aktivlegitimation nicht durch die Abtretung in dem Weiterveräußerungsvertrag verloren.
1. Für den Fall, dass das Fahrzeug nicht von dem Fahrzeughersteller, sondern von einem Dritten erworben worden war, hat der Senat bereits entschieden, dass die Klausel "Ggf. noch bestehende Ansprüche gegenüber Dritten aus Sachmängelhaftung werden an den Käufer abgetreten" nicht als Abtretung der Ansprüche aus § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gegen den Fahrzeughersteller an den Käufer ausgelegt werden kann (vgl. Senat, Urteil vom 20. Dezember 2023 - 7 U 1742/19, MDR 2024, 225 = juris Rn. 19 ff.). Dieser Rechtsprechung hat sich das OLG Stuttgart angeschlossen und sie auf die hier zu entscheidende Konstellation eines Direkterwerbs übertragen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 29. Februar 2024 - 24 U 1424/22, juris Rn. 21-38).
2. Jedenfalls in dem hier zu ...