Entscheidungsstichwort (Thema)
Flucht in die Säumnis ist grundsätzlich zulässig. Verfahrensverzögerung von zwei Monaten kann in Einzelfall unerheblich sein.
Leitsatz (amtlich)
1. War eine richterlich gesetzte Frist bereits versäumt, so kann die säumig gewordene Partei durch Hinnahme eines Versäumnisurteils die Rechtsfolge des § 296 ZPO faktisch unterlaufen (Flucht in die Säumnis), wenn sie nur die "Gnadenfrist" des § 340 Abs. 3 ZPO zur Nachholung des zunächst versäumten Vorbringens nutzt.
2. Das Gericht hat im Rahmen der Vorbereitung des Einspruchstermins alles Zumutbare zu unternehmen, um eine verzögerungsfreie Berücksichtigung des neuen Vortrags zu ermöglichen.
3. Der Prozessvortrag einer Partei kann nicht als verspätet zurückgewiesen werden, wenn auch bei fristgerechtem Vortrag der Rechtsstreit nicht früher beendet werden kann als bei Berücksichtigung des verspäteten Vortrags.
4. Verspätetes Vorbringen darf nicht ausgeschlossen werden, wenn offenkundig ist, dass dieselbe Verzögerung auch bei rechtzeitigem Vortrag eingetreten wäre.
5. Im Einzelfall kann eine Verzögerung von zwei Monaten bezogen auf die zu erwartende Gesamtdauer des Verfahrens bei Zulassung des verspäteten Vorbringens keine erhebliche Verzögerung darstellen.
Normenkette
GG Art. 103; ZPO §§ 296, 340
Verfahrensgang
LG Hannover (Aktenzeichen 13 O 72/19) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 25. November 2019 verkündete Urteil des Einzelrichters der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover ≪13 O 72/19 ≫ mit dem zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht Hannover zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 27.036,86 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Gegenstand des Rechtsstreits sind Rechnungen der Beklagten an die Firma B. für das Bergen, Abschleppen und Unterstellen deren Sattelzuges mit Anhänger, der bei einem Verkehrsunfall am 9. August 2018 auf der BAB 7 vom Versicherungsnehmer der Klägerin schuldhaft beschädigt worden ist. Den Auftrag hatte die Beklagte am Unfalltag von der Polizei erhalten. Auf ihrem Betriebsgelände lagerte sie den Auflieger und den transportierten Bauschutt, wofür sie ein tägliches Standgeld von jeweils 50,- EUR berechnet. Die Firma B. hat die Rechnungen der Beklagten aus dem Zeitraum vom 10. August 2018 bis zum 21. Oktober 2018 (Anlagenband) über insgesamt 30.549,62 EUR unter Protest gegen deren Höhe bezahlt, um ihren Auflieger und den Bauschutt abholen zu können. Sie hat ihre Ansprüche auf etwaige Rückforderungen gegen die Beklagte an die Klägerin abgetreten.
Die Klägerin hat behauptet, die Abrechnungen seien wucherisch erfolgt. Nach Einholung eines Prüfberichts von der Fa. E. erachtet die Klägerin die Abrechnung der Beklagten nur in Höhe von 3.512,76 EUR für berechtigt. In Höhe eines Betrages von 27.036,86 EUR (30.549,62 EUR minus 3.512,76 EUR) verlangt die Klägerin Rückzahlung von der Beklagten. Die Firma B. habe sich die Rückforderung der erbrachten Zahlungen vorbehalten. Die Klägerin beruft sich auf eine ungerechtfertigte Bereicherung der Beklagten gemäß §§ 812, 826, 138 Abs. 2 BGB. Dem ist die Beklagte entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, ihre Rechnungen ordnungsgemäß zu den marktüblichen Preisen erstellt zu haben. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 82 - 84 d. A.).
Der Einzelrichter der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover hat der Klage stattgegeben, indem er mit dem Urteil vom 25. November 2019 (Bl. 81 - 91 d. A.) sein Versäumnisurteil vom 13. September 2019 (Bl. 39, 40 d. A.), mit dem er die Beklagte zur Zahlung von 27.036,86 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Juni 2019 an die Klägerin verurteilt hatte, aufrechterhalten hat. Der Anspruch der Klägerin sei gemäß §§ 812 Abs. 1 S. 1 (1. Alt.), 818, 138 Abs. 1, 398 BGB begründet. Die Abrechnung der Beklagten sei wucherisch erfolgt. Das Bestreiten der Beklagten zur Überschreitung der marktüblichen Preise sei gemäß § 296 Abs. 1 ZPO verspätet, weil es erstmals in der Einspruchsschrift vom 23. September 2019 erfolgt sei und dessen Zulassung zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen würde, weil ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müsste, das bis zu dem auf den Einspruch bestimmten Termin nicht rechtzeitig habe erstellt werden können. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen (Bl. 84 - 91 d. A.).
Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte weiterhin die Klagabweisung. Sie meint, ihr Vorbringen sei fehlerhaft als verspätet zurückgewiesen worden. Im Übrigen habe der Einzelrichter nicht berücksichtigt, dass sie Standgeld für die Zeit vom 11. August bis zum 6. September 2018 mangels erfolgter Zahlungen zu Recht beansprucht habe.
Die Beklagte beantragt,
das am 25. November 2019...