Leitsatz (amtlich)
Zu Fragen der Amtspflichtverletzung wegen überlanger Verfahrensdauer eines Strafverfahrens.
Normenkette
BGB § 839; GG Art. 34
Verfahrensgang
LG Hildesheim (Urteil vom 29.09.2010; Aktenzeichen 5 O 237/08) |
Tenor
Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das am 29.9.2010 verkündete Urteil des LG Hildesheim werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Streitwert der Berufung: 2.878.736 EUR.
Gründe
I. Der Kläger nimmt das beklagte Land (im Folgenden: Beklagte) wegen der überlangen Dauer eines gegen ihn geführten Strafverfahrens auf Schadensersatz und Ersatz immateriellen Schadens in Anspruch. Vom Beginn der Ermittlungen im Jahr 2000 bis zum letztlich rechtskräftigen Freispruch des Klägers durch Urteil des LG Halle vom 17.3.2008 dauerte das Verfahren, wobei zweimal die Urteile des LG (Stendal und Dessau) vom BGH aufgehoben wurden, insgesamt mehr als 8 Jahre.
Das LG, auf dessen Urteil zur weiteren Sachdarstellung verwiesen wird, hat der Klage nur i.H.v. 13.107,09 EUR nebst Zinsen entsprochen. Es hat eine pflichtwidrige Verfahrensverzögerung von insgesamt 17 Monaten angenommen, die einen Anspruch aus Amtspflichtverletzung rechtfertige. Als ersatzfähigen Schaden hat es jedoch nur die Verteidigerkosten für den Antrag auf Einstellung des Strafverfahrens nach § 206a StPO i.H.v. 5.197,09 EUR angesehen und darauf wiederum die vom EGMR dem Kläger zuerkannte Entschädigung von 2.000 EUR angerechnet. Zudem hat es ein Schmerzensgeld von 10.000 EUR als gerechtfertigt angesehen und die weitergehende Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Ansprüche mit Ausnahme des Feststellungsantrages weiterverfolgt. Die Beklagte verteidigt das Urteil und verfolgt mit der Anschlussberufung die vollständige Klagabweisung.
Der Kläger hält die vom LG angenommenen pflichtwidrigen Verfahrensverzögerungen für nicht ausreichend. Er wiederholt und vertieft seine Auffassung, dass auch bereits im Ermittlungsverfahren amtspflichtwidrige Verfahrensverzögerungen vorgelegen hätten. Entgegen den Feststellungen des EGMR (Urteil vom 25.3.2010, Ablichtung Bl. 596 ff.) habe das LG für das Strafverfahren vor dem LG Halle lediglich eine Verzögerung von rund 15 Monaten anerkannt, während das Verfahren dort vom Beginn der Zurückverweisung durch Entscheidung des BGH vom 12.1.2006 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens nach Rücknahme der Revision der Staatsanwaltschaft bis zum 9.6.2008 angedauert hat. Dies widerspreche der Feststellung des EGMR, der in seiner Entscheidung ausgeführt habe, dass "insbesondere das LG
Halle nach der zweiten Zurückverweisung das Verfahren nicht zügig geführt habe". Das LG habe die Bindungswirkung des Urteils des EGMR verkannt. Außerdem habe es die Indizwirkung des Urteils des EGMR verkannt, dass der festgestellte Konventionsverstoß zugleich eine Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB indiziere.
Das LG habe auch verkannt, dass die unterlassene Bestellung eines Ergänzungsschöffen durch das LG Halle pflichtwidrig gewesen sei. Die Strafkammer des LG Halle hätte vielmehr angesichts der bisherigen Dauer des Verfahrens und im Hinblick auf die gebotene Beschleunigung pflichtgemäß einen Ergänzungsschöffen bestellen müssen. Nur dadurch sei es nach dem Versterben des Schöffen am 19.10.2006 zum Abbruch der Hauptverhandlung gekommen. Eine weitere pflichtwidrige Verzögerung des Verfahrens sei dadurch eingetreten, dass das Präsidium des LG Halle mit dem Ende des Jahres 2006 durch Geschäftsverteilungsplan für 2007 die Zuständigkeit des Verfahrens von der 1. Strafkammer auf die 8. Strafkammer des LG Halle übertragen habe. Diese habe nämlich dann erst den Verhandlungstermin auf den 25.10.2007 anberaumt und die Sache erst mit dem freisprechenden Urteil vom 17.3.2008 abgeschlossen. Durch diese Übertragung auf eine andere Strafkammer sei eine weitere Verzögerung eingetreten, weil sich die nunmehr zuständige Kammer erst habe einarbeiten müssen. Durch die Änderung des Geschäftsverteilungsplans sei der Kläger im Übrigen dem gesetzlichen Richter entzogen worden.
Das LG habe fehlerhaft die Kausalität der überlangen Verfahrensdauer für den vom Kläger geltend gemachten entgangenen Gewinn aus seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter verneint. Dazu trägt der Kläger nunmehr vor, das AG Hannover habe ihn erstmals seit 30.10.2009 zum Insolvenzverwalter bestellt (BB 20, Bl. 991), was allein auf die Überlänge des Strafverfahrens zurückzuführen sei. Das AG Magdeburg habe ihn erstmals nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens am 2.7.2008 wieder zum Insolvenzverwalter bestellt (Bl. 995 ff.).
Die Argumentation des LG, ...